Die Reise nach Morelia, dem Sitz der Verwaltung des »Autonomen Landkreises 17. November«
Unsere Männer müssen wir auch verteidigen
Die Reise nach Morelia, dem Sitz der Verwaltung des »Autonomen Landkreises 17. November«, ist beschwerlich und trotz möglicher Überfälle nachts sicherer. Offiziell existieren zwar keine »Sonderzonen« in Mexiko, doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Hunderte von Kontrollposten der Polizei, des Militärs und der Migrationsbehörden sind in Chiapas errichtet worden. In den meisten Gegenden herrscht nichterklärtes Kriegsrecht, und wer dort als »unerwünscht« gilt, kann schnell ausgewiesen werden. Um von San Cristobal de las Casas nach Morelia zu gelangen, bedarf es vierstündiger Busfahrt und eines Fußmarsches von nahezu drei Stunden.
Das gespaltene Dorf
Im autonomen Landkreis Morelia der Provinz Chiapas nehmen Tzeltal-Indianer ihre Geschicke selbst in die Hand Von Dario Azzellini Am Ortseingang ein ohrenbetäubender Lärm: Schon am frühen Morgen sind Anhänger der regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) mit Motorsägen dabei, die Bäume umliegender Hänge zu fällen. Dies, obwohl der autonome Landkreis zur Rettung des Baumbestandes ein Verbot verhängt hat. Abel, Verantwortlicher für die Produktion im »17. November«, erklärt später: »Wir wollen unseren Wald verteidigen, doch die Regierung kauft die Menschen mit Geld, und viele sind schwach und akzeptieren das.« Zweimal habe die Mehrheit der Dorfbewohner versucht, abfahrende Holzlaster aufzuhalten, doch müsse man fürchten. daß die Anhänger der PRI eine bewaffnete Konfrontation provozieren, um den Einsatz der Armee zu rechtfertigen. »Die PRIisten organisieren den Verkauf«, berichtet Abel, »dabei werden sie von der Armee unterstützt, zu der sie auch gleich hinlaufen, wenn wir versuchen, das Abholzen zu verhindern«.
Eigentlich ist es ein schweres Vergehen, einen Beschluß der Gemeinschaft zu brechen. In den autonomen Landkreisen wird alles in Versammlungen besprochen, nahezu alle neuen Projekte werden kollektiv verwirklicht. Und das den Dörfern eigene Strafsystem sieht im wesentlichen Arbeitsdienste für die Gemeinschaft vor. Ins Gefängnis kommt in Morelia kaum jemand, und wenn, dann meist zum Ausnüchtern. So wie ein junger PRIist, der am Sonntag morgen trotz des in allen zapatistischen Gemeinden herrschenden Alkoholverbots - das die Frauen durchgesetzt haben - betrunken neben dem Basketballplatz herumtorkelt und Vorübergehende anbrüllt. Ein paar kurze Pfiffe reichen, und einige Jugendliche, die »zapatistische Polizei«, treten in Aktion. Ohne viel Aufhebens tragen sie ihn zum Ausnüchtern fort.
Am 11. Dezember 1994 hatte die Zapatistische Armee für nationale Befreiung (EZLN) die Kampagne »Frieden mit Gerechtigkeit und Würde für die indianischen Völker« begonnen: Die Aufständischen durchbrachen friedlich den Ring der mexikanischen Armee um die zapatistischen Dörfer, die ihrerseits neue Räte und autonome Landkreise bildeten - unter Berufung auf die mexikanische Verfassung: »Das Volk hat jederzeit das unveräußerliche Recht, die Art seiner Regierung zu wechseln oder zu verändern.« 32 solcher autonomen Landkreise gibt es - alle im Nordosten des Bundesstaates Chiapas. Sie haben kein fest umrissenes Territorium. Die Gemeinden entscheiden in Versammlungen über ihre Zugehörigkeit. »Es ist die Bevölkerung selbst«, erläutert Abel, »die sagt: Wir bilden jetzt einen autonomen, freien Landkreis.«
Die Regierung unternehme freilich alles, diese Entwicklung zu verhindern. Sie verweigert den autonomen Landkreisen Gelder für Löhne und Infrastrukturprojekte. Nur sechs der 32 Zapatisten-Landkreise nehmen daher alle Verwaltungsaufgaben wahr, stellen Geburts-, Heirats-und Todesurkunden aus und bestrafen Regelverstöße. Der autonome Landkreis »17. November« besteht aus der »Kreisstadt« Morelia und weiteren 53 Gemeinden. Udiel, Präsident des Landkreises, berichtet sichtlich stolz von der Entstehung: »Alle Gemeinden aus der Gegend wurden zur Beratung über die Gestalt des Kreises zusammengerufen. Danach wurden in Versammlungen lokale Gemeinderäte und Regionalvertretungen gebildet. Die wiederum wählten das Parlament des Landkreises und seine Kommissionen: Ältestenrat, Rechtsprechung, Erziehung, Gesundheit, Finanzen, Arbeit, Frauen, Produktion, Land und Territorium, Jugend, Baumaßnahmen, Menschenrechte.«
Pablo, der Bürgermeister von Morelia, sitzt neben ihm, nickt und begründet den Namen des Kreises: »Der 17. November ist das Gründungsdatum der Organisation, die Geburtsstunde der EZLN.« Etwa 120 Familien, weit über 1000 Einwohner, leben im idyllischen Morelia. Die Ruhe des Ortes trügt allerdings: Das Dorf ist gespalten. Etwa 60 Prozent der Familien bekennen sich zur EZLN, die anderen nicht oder nicht mehr. Einige haben dem ständigen Verfolgungsdruck nicht standgehalten. »Es gibt Brüder, die nicht klar sehen und sich mit 200 Peso oder dem Versprechen auf ein Haus zufriedengeben«, erklärt Abel. Die »regierungstreuen« Familien sind leicht zu erkennen: Sie haben kleine Steinhaufen vor ihren Häusern auftürmt und warten seit Monaten darauf, daß die Regierung ihr Versprechen einlöst, ihnen weiteres Baumaterial für ein neues Haus zu spenden. Einige wenden sich mittlerweile aber auch an die autonomen Instanzen, »aus Erfahrung«, wie Udiel erklärt. »Sie sehen, daß die Regierungsbehörden nicht gerecht sind.
Sie lösen deine Probleme nicht, sie wollen einfach nur viel Geld haben. Selbst wenn du nichts getan hast, suchen sie einen falschen Zeugen, um dich übers Ohr zu hauen. Unsere Gesetze dagegen sind für alle gleich.« Morelia ist einer der fünf Orte, in denen 1996 das von der EZLN einberufene »Intergalaktische Treffen gegen Neoliberalismus« stattfand. Eigens dafür baute die Dorfbevölkerung in jeder der fünf Gemeinden »Aguascalientes«, ein Versammlungszentrum. Heute werden die Zentren genutzt, um an Wochenenden Seminare über Heilpflanzenkunde, Frauengesundheit oder Gemüseanbau zu veranstalten. Gleich hinter dem Versammlungszentrum von Morelia liegt ein Gemüsefeld. Jeden Morgen beginnen dort Frauen zwischen 16 und 60 Jahren zu hacken. 68 Frauen und Mädchen gehören zur Frauenkooperative. »Wir arbeiten im Gemüseanbau, zwei Gruppen backen Brot, und vor kurzem haben wir auch einen Laden eröffnet«, erzählt die etwa 30jährige Juana, während sie barfüßig mit der Hacke in der Hand neben dem schlammigen Feld steht. Der kleine Laden, in dem die Auswahl äußerst begrenzt ist, läuft mittlerweile. Aus den Einnahmen sollen eine Kaninchen- und eine Hühnerzucht finanziert werden.
Maria, die seit ihren Mädchenjahren als Katechetin tätig war und in ihrer Arbeit als Zapatistin eine logische Fortsetzung sieht, berichtet: »Wir Frauen haben früher sehr gelitten, wir hatten keinen Strom und kein Wasser, nichts. Wir haben gedacht, daß wir mit unseren Kindern nicht so leben können, und haben begonnen, uns zu organisieren. Den Männern paßte das zuerst gar nicht. Wir Frauen könnten nicht mitreden und hätten kein Recht, bestimmte Sachen zu tun, sagten sie.« Verschmitzt lächelnd, erzählt Juana: »Die Männer haben früher ihre Frauen nicht rausgelassen, sie sollten nur das Haus sauber halten, auf die Kinder aufpassen, Tortillas backen, das Essen vorbereiten und Holz holen. Aber das ist jetzt nicht mehr so, die Frauen gehen, wohin sie wollen, und wenn sie zu einer Versammlung müssen, dann bleibt der Mann zu Hause.«
Die Regierung hat mittlerweile 70 000 Bewaffnete in Chiapas stationiert. Über die zapatistischen Gemeinden fliegen mehrmals täglich Hubschrauber und Militärflugzeuge hinweg: »Sie kommen jeden Tag und jede Nacht und patrouillieren in geringer Höhe über dem Dorf. Früher hatten wir große Angst, aber jetzt nicht mehr. Wir rennen raus und nehmen lange Holzstangen mit, damit sie nicht landen können«, erzählt Juana, »denn wenn die Soldaten kommen, müssen die Männer in die Berge fliehen.«
Immer wieder verhindern die Frauen mit bloßen Händen, Stöcken und Steinen das Eindringen der Armee. »Einmal kamen sie mit zehn Lastwagen«, erinnert sich Juana, »wir sahen die Soldaten und rannten aus unseren Häusern, um sie rauszuschmeißen. Sie sagten zwar, sie wollten soziale Dienste leisten und Vorräte bringen, aber das glaubten wir nicht, denn sie kamen mit Waffen. Und wir wissen, was die Soldaten tun: Sie töten uns!«
Wir ergeben uns nicht
Maria erzählt von einem anderen Zwischenfall: »In Ocosingo hat die Polizei die Genossin Guadalupe getötet. Aber wir haben viel Mut und müssen uns verteidigen, so wie die Genossin, die gestorben ist: Sterben oder leben.« Kurz überlegt sie und fügt hinzu: »Unsere Ehemänner müssen wir natürlich auch verteidigen.«
Tief sitzt in Morelia der Schock über die Ermordung der drei Dorfältesten, die als Weise hoch angesehen waren, am 7. Januar 1994. »Etwa 1000 Soldaten kamen mit Schützenpanzern und Maschinengewehren hier ins Dorf. Alle Männer wurden aus den Häusern geholt und zusammengetrieben.« Die drei Dorfältesten wurden verschleppt. Später fand man sie mit schweren Folterspuren tot wieder. »Die Regierung behauptet, die Soldaten seien gar nicht hier gewesen. Aber das ganze Dorf ist Zeuge«, erregt sich Abel. Viele Gemeinden hofften, ihre Situation durch den Aufstand von 1994 verbessern zu können. Sie glaubten an die Verhandlungsbereitschaft der Regierung und stimmten schließlich für einen Waffenstillstand. Fünf Jahre später ist die Enttäuschung groß. Die Verhandlungen wurden ohne Ergebnis abgebrochen. »Die Regierung sagt, sie erfüllt ihre Verpflichtungen. Aber sie läßt die indianischen Genossen ermorden, einsperren, verschwinden. Sie sagt eine Sache, macht aber eine andere«, klagt Bürgermeister Pablo. »Die Regierung akzeptiert uns nicht. Die Soldaten versuchen immer wieder, bei uns einzudringen. Aber wir werden uns nicht ergeben.«