IM GESPRäCH Eduardo Daza, Sprecher der Vereinigung sozialer Netzwerke und Organisationen Venezuelas (ANROS*), über das am 15. August anstehende Referendum gegen Präsident Hugo Chávez
Vieles ist möglich - auch eine Intervention
Die Kampagne der Chávez-Anhänger für ein "Nein" zu einer möglichen Amtsenthebung ist in vollem Gange. Hunderttausende Venezolaner ziehen in "Kommandos" durch das Land und versuchen, die noch Unentschiedenen von den Vorzügen der bolivarianischen Revolution zu überzeugen. Die Opposition ihrerseits muss nicht nur eine Mehrheit für eine vorzeitige Demission des Präsidenten mobilisieren - die Zahl der gegen ihn abgegebenen Stimmen muss die 3,7 Millionen Stimmen übersteigen, die Chávez bei der letzten Präsidentschaftswahl vor vier Jahren auf sich vereinen konnte. Entscheidend wird daher auch die Wahlbeteiligung sein. Nach Angaben des Direktors des Nationalen Wahlrates, Jorge Rodríguez, sind für das Referendum 13.893.322 Personen im Wahlregister eingetragen.
FREITAG: Worauf konzentriert sich ANROS in seiner Arbeit zehn Tage vor dem Referendum?
EDUARDO DAZA: Vorrangig auf die sozialen Konsequenzen, die von den verschiedenen Programmen der Regierung ausgehen, vom Ärzteprogramm Barrio Adentro, von den Alphabetisierungskampagnen Robinson, Rivas und Sucre für den Mittelschulabschluss oder vom Arbeits- und Ausbildungsprogramm Vuelvan Caras oder auch von der Indígena-Initiative Guaicaipuro. Dies alles führen wir in der Mission Florentino zusammen, um für ein Nein beim Referendum zu werben. Das heißt: Wird der Wähler gefragt, ob er für einen vorzeitigen Rücktritt des Präsidenten sei, wollen wir ihn darin bestärken, nein zu sagen. Wir haben daher im ganzen Land kleine Gruppen gebildet, die von Haus zu Haus ziehen und die Erfolge des bolivarianischen Prozesses erläutern und jene kontaktieren, die als potenzielle Sympathisanten gelten.
Wie sehen die von Ihnen vertretenen Basisorganisationen das Referendum überhaupt?
Als vorzügliche Möglichkeit, unseren Prozess des sozialen Wandels zu vertiefen.
Inwiefern?
Wir haben in der Vergangenheit einige Chancen verpasst, um genau das zu tun. Ich denke an den Putschversuch rechter Militärs und eines Teils der alten Eliten im April 2002 oder an die Zeit zwischen Dezember 2002 und März 2003, als es einen Generalangriff der putschistischen Opposition auf die Ölwirtschaft gab, so dass die gesamte venezolanische Gesellschaft daran schwer zu tragen hatte. Allerdings hat sich dadurch auch das politische Bewusstsein im Lande verändert, da viele Leute, die gegen Chávez opponierten, heute sagen, man habe sie betrogen und in ein politisches Abenteuer ohne Ziel gejagt. Außerdem, so glaube ich, ist die Regierung erfahrener in der Führung des Staates und abwägender in ihren Entscheidungen. Das wird in der Wirtschaft besonders deutlich. Die Regierung kontrolliert jetzt auch die Erdölindustrie und kann mit den Einnahmen mehr tun, um eine Bevölkerung zu integrieren, die nie eine Möglichkeit der Partizipation hatte.
Mit welchem Ergebnis rechnen Sie am 15. August?
Wir denken, das Resultat wird auf jeden Fall zu Gunsten des Präsidenten ausfallen. Selbst US-amerikanische Umfragen gehen in vorsichtigen Schätzungen von 57 Prozent für Chávez aus, die weniger konservativen sprechen sogar von 67 Prozent. Und wir wissen, in der Vergangenheit wurde er immer mit Prognosen bedacht, die schlechter waren als das dann erzielte Ergebnis.
Angenommen, diese Prophezeiungen treffen zu, wird dann nicht die Opposition sofort von Wahlbetrug reden und das Ergebnis anfechten?
Durchaus möglich. Wir gehen von zwei denkbaren Szenarien aus. Einerseits wird bei einem Sieg von Chávez sicher versucht, in den Medien Zweifel am Ablauf des Referendums zu verbreiten, so dass die Transparenz und Organisation des Verfahrens überhaupt in Zweifel gezogen wird. Oppositionspolitiker könnten dazu aufrufen, das Ergebnis nicht anzuerkennen, um Gewaltausbrüche zu provozieren, die Regierbarkeit des Landes in Frage zu stellen und nach einer internationalen Intervention zu rufen. Andererseits existiert ein Sektor der Opposition, der gern mit Chávez über einige wichtige Gouverneurs- und Bürgermeisterposten verhandeln würde, um so ein ruhigeres Klima zu garantieren.
Alles, was Sie sagen, klingt sehr optimistisch und schließt eine Niederlage am 15. August aus. Woher kommt diese Zuversicht?
Wir sind in einer Phase, da der revolutionäre Wandel einen Schub erhält und die Basisbewegungen gestärkt sind. Das erlaubt uns, den Prozess von unten zu vertiefen. Die Opposition hätte gerade jetzt die Möglichkeit zu erklären, sie respektiere die Verfassung. Oder zu sagen, wir lehnen sie weiterhin ab und setzen den Weg - auch der gewaltsamen Konfrontation - fort. Allerdings verliert das Anti-Chávez-Lager von einem Mal zum anderen an Mobilisierungsfähigkeit.
Das Gespräch führte Dario Azzellini
(*) ANROS vereint mehrere Tausend Basisgruppen und fördert die Partizipation und Selbstorganisierung der Venezolaner.
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