Weg frei für Referendum gegen Chávez
Trotz massiver Unregelmässigkeiten hat der oberste Wahlrat Venezuelas 2,45 Millionen Unterschriften für eine Volksabstimmung gegen den Präsidenten Hugo Chavez anerkannt – 15 000 mehr als für das Referendum notwendig waren. Die BasisaktivistInnen sind wütend auf das «Comando Ayacucho», das die Kampagne der RegierungsanhängerInnen gegen die putschistische Rechte koordiniert hat.
Jorge Rodríguez, Direktor des Nationalen Wahlrates, informierte am Nachmittag des 3. Juni darüber, dass gemäss der Tendenz der Computerauswertung der Unterschriften mitsamt der vergangene Woche korrigierten Unterschriften 2451821 Personen gegen Chávez unterschrieben hätten. Sollte sich dieses Ergebnis in den nächsten Tagen als Endresultat bestätigen, wäre das von der Verfassung festgelegte Quorum von zwanzig Prozent der Wahlberechtigten, die für die Abhaltung eines Referendums unterschreiben müssen, um 15 738 Unterschriften überschritten worden. In der vergangenen Woche konnte die Opposition laut Angaben des Wahlrates etwa 525 000 der mehr als 1190 000 Unterschriften korrigieren, für die der Nationale Wahlrat eine erneute Überprüfung angeordnet hatte.
Sieg der Verfassung
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und das Carter Center beglückwünschten «alle Akteure des Verfahrens» und bedankten sich beim Präsidenten und der Regierung. Der oppositionelle Gouverneur Enrique Mendoza erklärte, dies sei «ein Sieg der Einheit » gewesen. Diese Einheit werde auch zum Sieg im Referendum führen. Präsident Chávez interpretierte die gegen ihn gesammelten Unterschriften nicht als Niederlage, sondern deutete sie um in einen «Sieg für die Verfassung». Das Referendum sei schliesslich ein Kind des Prozesses, um «einem neuen demokratischen Modell in Venezuela eine Form zu geben». Chávez wiederholte nach Bekanntgabe der Tendenzen der Unterschriftenkorrektur, die Regierung und er würden die Entscheidungen des Nationalen Wahlrats und das Ergebnis des Referendums akzeptieren. Er zeigte sich siegessicher und erklärte «Ich habe gesehen, wie einige Sektoren der Opposition bereits ihren Sieg feiern (... ). Ich habe nicht die mindeste Angst vor einer Niederlage. Ich habe ja bisher nicht einmal gespielt, das Spiel beginnt erst jetzt. Irren sie sich nicht, meine Herren von der Opposition, bisher haben sie fast alleine gespielt. Mögen sie nun für immer die Staatsstreiche, Ausschreitungen, Paramilitärimporte, Bomben in Botschaften und Erdölsabotagen vergessen und mit Glauben und Optimismus den Weg dieser neuen Demokratie gehen. Aber es ist nicht gut, frühzeitig Siege zu feiern.»
Das Referendum soll aller Voraussicht nach am 8. August stattfinden. Die Opposition fordert ein Referendum vor dem 19. August, da dann – im Falle einer Niederlage von Chávez – innerhalb von dreissig Tagen Präsidentschaftswahlen einberufen werden müssten. Sollte das Datum überschritten werden, sieht die Verfassung vor, dass der Vizepräsident die Amtszeit bis Januar 2006 zu Ende führt. In dem Referendum muss die Opposition aber nicht nur eine Mehrheit für die Amtsenthebung von Chavez zusammen bekommen, sondern auch mehr Stimmen gegen ihn vereinen, als die 3,75 Millionen, die er bei seiner Wahl zum Präsidenten erhalten hatte.
Während in einigen wohlhabenden Stadtvierteln von Caracas OppositionsanhängerInnen ihren Sieg feierten, kam es in Zentrum der Hauptstadt und in anderen Städten des Landes zu Demonstrationen, Strassenblockaden und Angriffen auf Oppositionsmedien durch AnhängerInnen der Regierung, die davon ausgehen, dass die Unterschriften der Opposition nur mit Betrug zusammengekommen sind. Angehörige der Regierung wiederum beschuldigten oppositionelle Provokateure der Angriffe auf die Medien, um so ein Klima der Spannung zu erzeugen.
Breite Unzufriedenheit mit dem Wahlrat bei den Chávez-AnhängerInnen verursachte, dass dieser mit keinem Wort verschiedene Unregelmässigkeiten erwähnte. So konnte die Polizei rund um den «Reparaturprozess » fast fünfzig Personen mit gefälschten Personalausweisen oder Unterlagen dingfest machen. Allein im bevölkerungsreichsten Distrikt von Caracas wurden 2376 gefälschte Personalausweise beschlagnahmt und über 300 Verstorbene identifiziert, die auf den Listen aufgetaucht sind. In einem Parteisitz der Ex-Regierungspartei AD in Caracas wurde gar eine ganze Fälscherwerkstatt mit Scannern, Farbdrucker und Laminiermaschine ausgehoben.
Zorn der Basis
Der Zorn vieler AktivistInnen an der Basis richtet sich vor allem gegen das politische Führungsgremium des «Comando Ayacucho», das aus VertreterInnen verschiedener Parteien und Organisationen besteht, die die Regierung Chávez unterstützen und das die Unterschriftensammlung gegen die Oppositionsabgeordneten organisiert hatte. Dieses hatte in den vergangenen Monaten wiederholt angekündigt, genügend Unterschriften für Volksabstimmungen gegen dreissig Oppositionsabgeordnete zu erzielen und beim Referendum gegen Chávez 300 000 Unterschriften annullieren zu können. Noch am 31. Mai erklärten Repräsentanten des Comando Ayacucho «Es wird kein Referendum gegen den Präsidenten Hugo Chávez Frías geben» und riefen zum Feiern auf. Tatsächlich aber wurden nur etwa 74 000 Unterschriften für ungültig erklärt und genug Unterschriften für Volksabstimmungen gegen lediglich neun Abgeordnete der Opposition erzielt. Grosse Teile der Basis werfen dem Gremium Unfähigkeit und Desorganisation vor und fordern seinen Rücktritt.
Besser wählen
Auf Nachfrage erklärte der Abgeordnete der Chávez-Wahlallianz MVR Luis Tascón bei einem Gespräch in Berlin, das Comando Ayacucho sei nun dreimal hintereinander gescheitert, das müsse Konsequenzen haben. Tatsächlich hat es an der Basis jede Glaubwürdigkeit verloren. So erklärte auch Chávez, er werde die Kampagne gegen seine Amtsenthebung persönlich leiten. Tascón gab allerdings auch zu, dass die Datenbasis in Venezuela so schlecht sei, dass es zu grösseren Betrügereien gekommen sei. Allerdings sei es doch besser, das Referendum durchzuführen und zu gewinnen, als den Betrug nachzuweisen und die Zahl der Unterschriften knapp unter die notwendige Anzahl zu drücken.