Kältewelle erfaßt ganz Europa von Italien bis Dänemark Eis und Schnee: Sozial Schwache und Bewohner der Kriegsgebiete gehören zu den ersten Opfern
Wintereinbruch zeigt deutlich grausame Defizite...
Nicht nur Deutschland wurde von einem verfrühten und besonders harten Wintereinbruch überrascht. Ganz Europa, bis auf Spanien, ist davon betroffen. Von Frankreich bis Rußland erfrieren Obdachlose, und überall messen meteorologische Institute neue Minusrekorde. Alle reden von einer "Katastrophe", doch eigentlich kommt der Winter ja jedes Jahr zugegebenermaßen ist er mal härter, mal milder, kommt er mal früher, mal später. Zur "Katastrophe" haben ihn die Menschen gemacht. Wenn in Europa Obdachlose erfrieren, ist dies ein Zeichen falscher Wohnungspolitik bzw. einer Gesellschaftsform, die falsche Schwerpunkte setzt. Wenn in Bosnien die Bevölkerung an Unterkühlung stirbt, dann liegt die Schuld bei den Kriegstreibern, der Winter muß als Sündenbock herhalten.
Die Kriegsgebiete im ehemaligen Jugoslawien sind besonders hart vom Wintereinbruch betroffen. In Zentralbosnien wurden die ersten Hunger- und Kältetoten gemeldet. Vor wenigen Jahren noch hätten die Einwohner Mostars zumindest in den umliegenden Wäldern Brennholz sammeln können, diesen Winter ist die herzegowinische Stadt von Kämpfen eingeschlossen, und etwa 50.000 Menschen sind von Hunger und Kälte bedroht. Ein Drittel der insgesamt knapp drei Millionen in Bosnien lebenden Zivilisten sind akut vom Tod bedroht. Die UNO, deren mächtigste europäische Mitgliedsstaaten maßgeblich an der Auslösung des Krieges beteiligt waren, bereitet Hilfskonvois vor, doch eine Lösung wird dies nicht sein, denn die Lieferung der benötigten Lebensmittel, Medikamente, Kleidung und Brennstoffe wäre von den 354 Lastwagen der UNO nur unter idealen Bedingungen zu bewältigen. Die sind aber nicht gegeben, Straßensperren und Angriffe auf Konvois sind an der Tagesordnung, Schnee, Glatteis und gesprengte Brücken tun ihr Übriges.
In Griechenland führten heftige Schnee- und Regenfälle zur Ausrufung des Katastrophenalarms. Im Norden des Landes und in den Bergregionen legten Schneewehen den Verkehr lahm, während im übrigen Gebiet Regenfälle umfangreiche Schäden anrichteten. Besonders stark von Überschwemmungen sind die dicht besiedelten Strandvororte der vier Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt Athen betroffen. In diesen Randsiedlungen, die aus schnell hochgezogen Wohnsilos bestehen und wo an der Kanalisation gespart wurde, überfluteten reißende Wasser- und Schlammströme Tausende von Kellern und Straßen, spülten Autos weg und hinterließen viele Gegenden ohne Strom, Heizung und Telefon. In den Regionen, die im Sommer durch große, von Grundstücksspekulanten gelegte Brände betroffen waren, stießen die Wassermassen auf keinerlei Widerstand mehr und spülten ganze Felder hinfort, Bauern meldeten bereits Schäden in Millionenhöhe.In Rumänien ist die Armee beschäftigt, eingeschneite Autofahrer zu retten, 13 Nationalstraßen sind von bis zu zwei Meter hohen Schneewehen blockiert. Räumpanzer sind rund um die Uhr unterwegs, um Ortschaften wieder zugänglich zu machen. Im Nordosten Bulgariens wurde wegen Schneestürmen und Glatteis der Notstand ausgerufen. Auch aus Polen, England, Österreich und der Schweiz kommen besorgniserregende Nachrichten.
In Moskau sind bereits zehn Personen erfroren, dort herrscht der Winter schon seit einigen Wochen mit Temperaturen um minus 20 Grad. Die Moskwa ist zugefroren und die Krankenhäuser melden besonders viele Amputationen erfrorener Gliedmaßen.
In Frankreich forderte die Kältewelle bisher acht Menschenleben, die meisten von ihnen waren Obdachlose. Die französische Öffentlichkeit reagierte schnell: Restaurants richteten Suppenküchen ein, Pensionen und Hotels stellten Räume zur Verfügung und in Paris wurde eine stillgelegte Metrostation für die Clochards geöffnet. Die humanitären Hilfeleistungen für die etwa 400.000 Obdachlosen Frankreichs sind umfassend, doch die Tageszeitung "Libération" forderte, solchen Situationen vorzubeugen, indem die "ganze Kette des sozialen Wohnungsbaus" wieder aufgenommen wird. Das müsse neue Baumaßnahmen einschließen und fordere staatliche Investitionen.