Der »Plan Colombia« verschont die Drogen-Oligarchie
Blinder Fleck im Pulverkrieg
In Kolumbien haben erste Maßnahmen des »Plan Colombia« begonnen. Er soll das Drogenproblem lösen und die Entwicklung der ländlichen Regionen ankurbeln, verspricht die kolumbianische Regierung. Doch längst hat sich der Plan als Rechtfertigung für militärische Aufrüstung entpuppt. Dabei werden die ökonomischen Strukturen des Drogenhandels ebenso ignoriert wie die gesundheitlichen und ökologischen Folgen der Drogenbekämpfung.
von Dario Azzellini
Das Drogengeschäft gehört neben dem Waffen- und dem Ölgeschäft weltweit zu den bedeutendsten Weltwirtschaftszweigen. In Kolumbien ist der Drogenhandel der dynamischste Wachstumsfaktor. Die Großbanken profitieren von der Geldwäsche der Narco-Dollars, das Großkapital verdient am Handel der Vorprodukte für die Kokainherstellung und am Transport. Es verwundert daher nicht, wenn Politiker, Polizei und Militärs tief in das Business verstrickt sind. Nicht umsonst gibt es derzeit einen Prozess wegen der Annahme illegaler Drogengelder gegen die gesamte Regierung Samper und viele Kongressabgeordnete. Auch der riesige paramilitärische Apparat unter der Führung von Carlos Castaño kann nur Dank der Einnahmen aus dem Koka-Geschäft finanziert werden.
Die enorme Einträglichkeit des Drogenbusiness ist vorwiegend in der Drogenverbotspolitik begründet, durch die der Risikogewinnanteil im illegalen Drogengeschäft auf 95 bis 99 Prozent steigt. Zwar ist Kokain eines der wenigen landwirtschaftlichen Exportprodukte, das nicht von transnationalen Konzernen aus den Industrieländern vom Anbau bis zum Vertrieb kontrolliert wird. Das Drogenbusiness »ist der einzige lateinamerikanische Multi«, wie der ehemalige peruanische Präsident Alan Garcia einst sagte. Doch verbleiben vom Gewinn gerade einmal zehn bis fünfzehn Prozent in den südlichen Erzeugerländern, während die restlichen Einnahmen in den Industrieländern abgeschöpft werden, die somit wenig Interesse an einer Legalisierung haben.
Mit dem im letzten Jahr beschlossenen »Plan Colombia« gibt die kolumbianische Regierung vor, das Drogenproblem lösen und zugleich die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ankurbeln zu wollen. Teil des Plans sind Friedensverhandlungen zwischen den linksgerichteten Guerillaorganisationen FARC und ELN und der Regierung sowie der Aufbau demokratischer Strukturen. Präsident Pastrana lancierte für den »Plan Colombia« mit einem ursprünglich vorgesehenen Gesamtumfang von sieben Milliarden US-Dollar eine weltweite Werbekampagne. Dabei schien es kaum jemanden zu stören, dass der strategisch ungenaue Plan in mehreren Versionen existiert (die Rede ist von zwei bis vier), die sich jeweils an der Politik der Geberländer orientieren. So legte Pastrana seinem Kollegen Bill Clinton einen »Plan Colombia« vor, der hauptsächlich auf die militärische Karte setzt und die Guerilla als zu bekämpfende Profiteure des Drogenhandels bezeichnet, während den meisten EU-Ländern eine Fassung des Plans vorliegt, in dem der Schwerpunkt auf alternative sozio-ökonomische Projekte gelegt wird.
»Es ist unser großes nationales Interesse, den Kokain- und Heroin-Fluss in Richtung unserer Grenzen zu stoppen und in Kolumbien und der Region den Frieden, die Demokratie und das Wirtschaftswachstum zu fördern«, erklärte Bill Clinton, als er die Militärhilfe von über 1,5 Mrd. US-Dollar für Kolumbien bekannt gab. Kursierte im letzten Jahr noch die Vermutung, die USA wollten direkt – in Form einer von der US-Luftwaffe unterstützten Invasion durch argentinisch-peruanisch-ecuadorianische Militärs – in dem lateinamerikanischen Land eingreifen, so waren die Interventionsphantasien Ende des Jahres vom Tisch. Das heißt allerdings nicht, dass die USA auf eine Präsenz im Konflikt verzichten würden. Auch die Regierung unter Bush lässt keinen Zweifel daran, dass die massive Unterstützung der kolumbianischen Armee als Drohung an die Guerilla zu verstehen ist.
Militärische Eingriffe werden stur mit der These legitimiert, bei den kolumbianischen Befreiungsbewegungen handele es sich um »Narcoguerillas«. Dagegen spricht nicht nur die von der Washington Post öffentlich gemachte Zusammenarbeit von CIA-Agent und Geheimdienstoberst Ivan Ramírez mit der Drogenhändlerfamilie Castaño Gil. Der Schmuggel von mehr als 400 Kilo Kokain und Heroin durch die kolumbianische Luftwaffe, die Verlegung eines Kokainlabors mit Hilfe von Spezialeinheiten der Armee, die gemeinsame Planung des Massakers von Riofrio/Valle del Cauca 1990 durch Armeeoffiziere und das Cali-Kartell und die Wahlkampffinanzierung für den Präsidenten Samper mit illegalen Drogengeldern verweisen dagegen auf eine Verstrickung der Regierung im Drogenbusiness. Zu Beginn der Gespräche mit der FARC musste selbst der kolumbianische Präsident Andrés Pastrana öffentlich zugeben, dass die kolumbianische Guerilla keine Verbindungen zum Drogenhandel unterhält. Auch ist bisher kein einziger FARC-Angehöriger jemals wegen Drogenhandel oder Narco in irgendeiner Form angeklagt oder verurteilt worden, worauf die kolumbianische Regierung bestimmt nicht verzichtet hätte, wenn es nur irgend möglich gewesen wäre.
Von einer Narco-Regierung oder Narco-Oligarchie spricht indessen niemand. Die Interessen der USA liegen einzig in der Zerschlagung der Guerilla, durch deren Politik verschiedene geopolitische Interessen der USA an Ölreserven und Bioressourcen gefährdet scheinen. Die Drogenbekämpfung dient dabei als moralischer Vorwand, als effektives Mittel gegen das Kokabusiness ist der Plan Colombia denkbar ungeeignet. So sind von den über 1,5 Mrd. US-Dollar der USA nur 145 Millionen für alternative sozio-ökonomische Projekte – wie die Umstellung von Drogenanbau auf andere landwirtschaftliche Produkte – und nur 93 Millionen für »Verbesserung der Menschenrechtssituation und Justiz sowie Stärkung der demokratischen Institutionen« vorgesehen. An eine erfolgreiche militärische Zerschlagung des Drogenhandels können die beiden Regierungen nicht ernsthaft glauben, da sie um die postfordistische Struktur des Business wissen. Der gesamte Drogenhandel agiert kaum noch als streng hierarchisch geordnetes Großkartell, sondern erweist sich zunehmend als komplexe und dezentrale Unternehmensstruktur.
Gewalt als ökonomische Strategie
Selbst der frühere kolumbianische Generalstaatsanwalt Gustavo de Greyff hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass es schon aus Sicherheitsgründen kein hierarchisch funktionierendes Kartell mit alles kontrollierenden Bossen an der Spitze gibt. Die illegalen Strukturen der Drogenhändler entsprechen wohl eher Organisationsmustern, wie sie von postfordistischen, transnationalen Konzernen bekannt sind. Sie agieren auf der Basis von just in time, outsourcing und Subunternehmertum. So arbeitete auch das »Cali-Kartell« als modernes dezentralisiertes Unternehmen transnational, war mit modernsten Geräten und Techniken ausgestattet, unternahm Marktanalysen, entwickelte neue Verkaufsstrategien und neue Produkte sowie Produktionsabläufe.
Auf dem Drogenmarkt existieren ebenso wie auf Märkten legaler Produkte Käufer und Verkäufer, Groß- und Kleinhändler, Makler, Importeure und Verteiler, Preise, Bilanzen und Profite und – was selten vorkommt – Verluste. So wie andere Geschäfte ist auch der Drogenhandel primär auf Profitmaximierung ausgerichtet. Das Geschäft teilt sich in Wettbewerbssektoren (Kokabauern, kleinere Aufkäufer der Kokapaste, Groß- und Kleinhändler des Endprodukts) und einen monopolartigen Sektor, der sich im wesentlichen in den Händen einer begrenzten Anzahl von kolumbianischen Exporteuren befindet. Die Strukturen dieses oligopolistischen Sektors stellen den Motor des gesamten Geschäfts dar, wobei die Personen, die diese Strukturen ausfüllen – wie in der legalen Wirtschaft – frei austauschbar sind. Daher führt ihre Verhaftung auch nicht zum Verschwinden des Drogengeschäfts. So berichtete ein FBI-Agent über den Kokainhandel Medellíns, die Managementhierarchie sei meist fließend, Positionen wie Organisationszugehörigkeit wechselnd und auch eigenständige Nebengeschäfte würden vorkommen. Teilweise schließen sich mehrere Drogenunternehmen zusammen, um gemeinsame Großinvestitionen – wie beispielsweise in Großlabors mit Kosten von 20 Mio. Dollar vorzunehmen. Die Vertriebsstrukturen der Oligopole werden auch unabhängigen Produzenten gegen Bezahlung zur Verfügung gestellt. An der Spitze des zellenartig organisierten Konglomerats des Cali-Kartells steht ein »Rat der Unternehmer«, der sich um legale Investitionen des Clans kümmert, Geldwäsche sowie Einrichtung der Laboratorien und Vertrieb der Drogen koordiniert.
Das Fehlen juristischer Sicherheiten im Geschäftsverkehr und die hohen Gewinnspannen, die beide aus dem illegalen Status des Produktes resultieren, unterscheiden Kokain (und weitere Drogen) von anderen Produkten. Gewalt erscheint daher aus unternehmerischer Sicht als ein notwendiges Mittel zur Regulierung des Handels. In Medellín hatte sich als Folge der Aufträge der Drogenhändler mit der Zeit eine regelrechte Todesindustrie mit geradezu lehrbuchhaften postfordistischen Organisationsmustern herausgebildet. Die kolumbianische Regierung geht davon aus, dass etwa 10.000 Personen in diesem Bereich tätig sind, ein Viertel davon als Vermittler. Nach offiziellen Angaben operierten Anfang der neunziger Jahre in Medellín 300 Jugendbanden und mindestens 5.000 Sicarios – wie die Killer in Kolumbien genannt werden. Ohne sich für die Motive interessieren zu müssen, erhalten sie ihre Instruktionen von spezialisierten Vermittlungsagenturen, die den Auftraggebern höchstmögliche Anonymität bieten und ihnen die direkte Kontaktaufnahme mit den Sicarios ersparen. Die Jugendlichen, die die Morde letztendlich durchführen, sind dabei das letzte Glied in der »Outsourcing-Kette« und bekommen – ebenso wie die Produzenten in der legalen Wirtschaft – nur ein Trinkgeld im Vergleich zum Auftragsvolumen. So erhielt beispielsweise der 15jährige Sicario, der am 22. März 1990 den UP-Präsidentschaftskandidaten Bernardo Jaramillo ermordete, nur etwas über 1.500 DM von den insgesamt 825.000 DM, die das Attentat gekostet haben soll.
Nach der Zerschlagung des Medellín-Kartells im Dezember 1993 und des Cali-Kartells 1995 fächerte sich die Struktur des Kokainbusiness in Kolumbien weiter auf. Nach Angaben des Observatoire Geopolitique de Drogues (OGD) in Paris entspricht die heutige Struktur des Kokainbusiness in Kolumbien einem dichten Netz von 2.000 bis 3.000 kleinen und 40 mittleren Organisationen, die insgesamt über mindestens 700 geheime Landebahnen verfügen sollen. Die kolumbianischen Narcos haben einen Großteil ihrer illegalen Gelder in legalen Unternehmen reingewaschen und treten heute diskreter als früher in Erscheinung. Zur Sicherung der eigenen Straffreiheit sind umfassende Maßnahmen notwendig. Gewalt ist dabei nicht einmal das favorisierte Vorgehen, da damit Aufmerksamkeit erregt wird. Dementsprechend scheiterten auch die Kokainunternehmer des »Medellín-Kartells«, die die Gewalt als Mittel überstrapazierten und ihre strukturellen Grenzen zu spät erkannten. Die meisten Strukturen bauen ihre Führung auf Verwandschaftsverhältnissen oder langjährigen Freundschaften auf, um sich eine entsprechende Vertrauensbasis zu sichern. Zu den weiteren Maßnahmen zum Schutz vor Strafverfolgung gehören auch die Sicherung von Loyalität in der Bevölkerung durch soziale Aktivitäten, die Bestechung von Behörden, Justiz und Repressionsorganen sowie die Infiltration der verschiedenen Machtebenen.
Vorgetäuschte Friedenssuche
Abgesehen von der ohnehin zum Scheitern verurteilten militärischen Ausrichtung des Plan Colombia steht die Aufrüstung des Militärs in krassem Gegensatz zu dem geäußerten Willen der Pastrana-Regierung, den jahrzehntelangen Krieg durch Verhandlungen beenden zu wollen. Wie ernst es der kolumbianischen Regierung im Kampf gegen die Drogenökonomie tatsächlich ist, zeigt sich in ihrem Schweigen zur Initiative der FARC, den Anbau von Drogengrundstoffen in ihren Einflußzonen schrittweise zu reduzieren. Auch eine von der ELN gemeinsam mit der FARC initiierte Offensive gegen den Paramilitarismus in einem 5000 Quadratkilometer großen Gebiet im Süden Kolumbiens, das die ELN zur Entmilitarisierung vorgeschlagen hatte, wurde unterlaufen: Das Militär kam zunächst den Paramilitärs zur Hilfe und organisierte dann in dem zu entmilitarisierenden Gebiet unter dem Namen »Bolivar« eine Offensive gegen die Guerillas. Die in der Region operierenden Paramilitärs versuchten mit allen Mitteln und mit Unterstützung der Armee die Entmilitarisierung zu verhindern. Sie stellen die lokale Bevölkerung vor die Wahl, entweder gegen die Entmilitarisierung zu protestieren oder ebenfalls ermordet zu werden. Daraufhin brach die ELN Anfang März die Gespräche mit der Regierung ab.
Erst nach einer Erklärung der Regierung, diese Offensive zurückzunehmen, wurden die Gespräche Ende März wieder aufgenommen. Sie sollen zwischen ELN und Regierung stattfinden, die zusammen mit hunderten Delegierten verschiedener gesellschaftlicher Organisationen, Bewegungen und Sektoren über die Zukunft des Landes diskutieren wollen. Die ELN einigte sich sowohl mit der Regierung als auch mit Vertretern ziviler Organisationen bereits Anfang Februar auf die Rahmenbedingungen, unter denen das Gebiet entmilitarisiert werden soll. Dazu gehören der Rückzug von Streitkräften und ihre Ersetzung durch einen lokal organisierten Zivilschutz, internationale Präsenz, die Anerkennung der lokalen Repräsentanten von Politik, Justiz und Kirche, sowie die Durchführung eines Programms zur Substitution des Drogenanbaus bei gleichzeitiger Deeskalationspolitik.
Im Einklang mit der US-Regierung konzentrieren sich die Aktionen des »Plan Colombia« auf das schwächste Glied des Drogenkreislaufs, die Kokabauern. Im Zuge verschiedener Massaker wurden 400 Personen ermordet und 60.000 vertrieben. Enteignung und Umsiedlungsprogramme sind Bestandteil des Konzepts. Am entgegengesetzten Ende der Drogenkette geschieht das Gleiche: 70 Prozent der in den USA im Kampf gegen Drogen eingesetzten Gelder gehen in die Verstärkung von Polizeiaktionen zur Verhaftung von Kleindealern. Zwei Drittel der Gelder, die insgesamt für eine Drogenkontrolle bereitgestellt werden, werden für die Bekämpfung des Angebots verwendet; so tragen die USA den Krieg gegen die Drogen in den Süden. Auf diese Weise erspart man sich letztlich brisante Fragen nach ökonomischen und sozialen Bedingungen vor der eigenen Haustüre und heiligt zugleich die militärischen Mittel zur Durchsetzung macht- und geopolitischer Eigeninteressen mit einem moralischen Vorwand. Kein Wunder, dass Präsident Bush das Gesuch Pastranas, an den Verhandlungen mit der Guerilla teilzunehmen, ablehnte.