Auf das Vorrücken der kolumbianischen Armee in die ehemals entmilitarisierte Zone antwortet die Guerilla mit Attacken im ganzen Land
Bomben auf den Caguán
Seit der kolumbianische Präsident Andrés Pastrana am 20. Februar den Abbruch der Gespräche mit der Farc verkündete, wechseln sich im Caguán Luftbombardements und vorrückende Armee-Truppen ab. Militäreinheiten besetzten die fünf Kreisstädte der Region, aus denen sich die Farc bereits zurückgezogen hatte. Die 200 000 Einwohner des Caguán fürchten nun Repressalien der Streitkräfte und der Paramilitärs. Die Armee will die Region noch weitere sechs Wochen bombardieren, während für die gesamte Operation sechs Monate veranschlagt werden. Tausende Flüchtlinge sollen bereits unterwegs sein, das Welternährungsprogramm beschloss die Lieferung von fünf Tonnen Lebensmitteln als Soforthilfe. Die Farc dürfte dennoch in der Region bleiben; dort war sie auch vor der Entmilitarisierung seit Jahren präsent.
Der Fortbestand der entmilitarisierten Zone war erst Mitte Januar verlängert worden. Nachdem es schien, als sei ein Einmarsch der Militärs bereits eine sichere Angelegenheit, gelang unter Vermittlung der Uno eine Einigung. Es wurde vereinbart, bis zum 7. April einen Waffenstillstand auszuhandeln und zu unterschreiben.
Pastrana befindet sich jedoch seit der internationalen "Antiterrorkampagne" im Aufwind, während die Farc immer stärker international isoliert wird. Die Regierung suchte daher einen Vorwand, um die Gespräche aufzukündigen, und fand ihn in der Entführung des Kongressabgeordneten Jorge Eduardo Gechem.
Doch auch die Guerilla befand sich in der misslichen Lage, einen Waffenstillstand in absehbarer Zeit zugesagt zu haben, obwohl er nicht möglich ist, solange der paramilitärische Terror weiterhin das Land überzieht. Zudem ist es der Farc nicht gelungen, die Situation der vergangenen Jahre politisch zu nutzen und einen breiten gesellschaftlichen Prozess in Gang zu setzen, auch wenn sie auf nahezu 20 000 Bewaffnete anwuchs und militärisch offensiv vorging.
Der ELN, die zweitgrößte Guerilla des Landes, die sich seit Anfang Januar auf Kuba wieder mit Vertretern der kolumbianischen Regierung trifft, kündigte an, die Gespräche fortzusetzen, doch ein positives Ergebnis ist kaum zu erwarten. Da Pastranas Mandat am 7. August ausläuft, lehnte es der ELN ab, Vereinbarungen zu treffen, und erteilte auch einer Entwaffnung eine kategorische Absage. In einigen Regionen Kolumbiens haben der ELN und die Farc bereits die "Volksbewaffnung" durchgeführt, die Bevölkerung bewegt sich hier mit der Guerilla, um Angriffen der Armee und der Paramilitärs zu entkommen.
Auch der ELN ist in den vergangenen Jahren stark angewachsen, er soll nun über etwa 15 000 Kämpfer verfügen. Allerdings ist diese Guerilla schlechter bewaffnet als die Farc und verfügt über weniger Offensivkraft, da ihre Gebiete einem stärkeren Druck der Paramilitärs ausgesetzt sind. Die vom ELN getroffene Entscheidung, die Bevölkerung zu verteidigen, schränkt seine Beweglichkeit und damit die Fähigkeit zu offensiven Aktionen stark ein.
An der Militäraktion in der ehemals entmilitarisierten Zone sind auch US-Soldaten beteiligt, wie auf Fotos zu sehen war. In der nur wenige Kilometer vom Caguán entfernten Militärbasis "Tres Esquinas" befinden sich ungefähr 300 Angehörige der US-Army. Insgesamt dürften zwischen 500 und 1 000 Angehörige US-amerikanischer Sicherheitsorgane in Kolumbien stationiert sein, zudem sind auch noch private Kriegsunternehmen mit insgesamt über 2 000 Mitarbeitern in Kolumbien aktiv.
Die Chefideologen der Republikanischen Partei in den USA stellten kürzlich in dem strategischen Papier "Santa Fe IV" fest, der Kommunismus sei nicht verschwunden, sondern durch die nachlässige Politik William Clintons sogar gestärkt worden. Konkrete Gestalt nehme er in Kolumbien und Venezuela an, und damit werde er zu einer direkten Bedrohung für die USA. Venezuelas Präsident Hugo Chávez, so die Analyse, die der US-Außenpolitik zur Orientierung dient, wolle in den beiden Ländern sowie in Ecudaor und in Panama ein sozialistisches "Großkolumbien" aufbauen. In diesem Kontext ist auch die von den USA unterstützte Kampagne der venezolanischen Oligarchie zu sehen, die Chávez als Kommunisten und Unterstützer der Farc darstellt (Jungle World, 10/02).
Inzwischen wird das Terrain für ein noch größeres US-amerikanisches Militärengagement in Kolumbien vorbereitet. Die US-Regierung forderte ihre Bürger bereits auf, "von Reisen nach Kolumbien abzusehen". Die Bush-Administration lobte das Vorgehen Pastranas, obwohl der Plan Colombia - zumindest was sein offizielles Ziel, die Bekämpfung des Drogenanbaus, betrifft - als gescheitert zu betrachten ist. Die Anbaugebiete sollen sich im vergangenen Jahr nach Angaben der CIA weiter vergrößert haben.
Indes deutet einiges auf eine Legalisierung der Paramilitärs als regionale "Schutztruppen" hin. Bereits im vergangenen Jahr schrieb die Rand Corporation, ein Institut der US-amerikanischen Rüstungsindustrie, in einer Studie für die US-Air Force: "Ein Netzwerk überwachter Selbstverteidigungsorganisationen nach dem peruanischen Modell könnte eine Alternative zu den illegalen Gruppen bilden." Der Vorschlag wurde nun in der Umgebung der US-Regierung wieder aufgenommen. Ähnlich äußerte sich der kolumbianische General Gustavo Porras, der die Bodentruppen beim Einmarsch in den Caguán anführte und kurz danach zurücktrat, da es der Armee nicht gelang, eine wichtige Brücke vor der Sprengung durch die Farc zu bewahren. Porras schlug öffentlich vor, zivile bewaffnete Gruppen nach dem Vorbild der "Convivir" zu bilden, die bis zu ihrem Verbot Ende der achtziger Jahre die legalen Strukturen vieler Paramilitärs darstellten.
Auf eine Intensivierung des Krieges drängen vor allem die kolumbianische Oligarchie, die Armee und die US-Regierung. Ihr Kandidat für die Präsidentschaftswahlen Ende Mai ist der aus den Reihen der "Liberalen" stammende, aber unabhängige ultrarechte Álvaro Uribe Vélez. In kolumbianischen Medien wird er bereits als Wahlsieger gehandelt. Er war als ehemaliger Gouverneur von Antioquía maßgeblich am Aufbau der Paramilitärs beteiligt und lehnte Gespräche mit der Guerilla stets ab. Im Falle seines Wahlsiegs ist eine Verschärfung des Krieges gewiss.
Der Kriegskurs dient Pastrana auch dazu, sich gegenüber den Rechtsextremen zu profilieren und so dem Kandidaten seiner Konservativen Partei mehr Gewicht zu verleihen. Als Antwort auf das Vorgehen Pastranas wurden die Aktionen der Guerillas zahlreicher. Wenige Tage nach dem Beginn der Bombardements waren etwa zehn Prozent der kolumbianischen Gemeinden ohne Strom, die Stadt Florencia mit 200 000 Einwohnern war auf dem Landweg nicht mehr zu erreichen, und im ganzen Land finden Anschläge auf die Infrastruktur, die Armee und die Polizei statt.
Am 23. Februar entführte die Farc zudem die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancur, die auf dem Weg in den Caguán war. Sie unterstützte Pastrana zu Beginn seiner Amtszeit, entfernte sich dann aber wieder von ihm. In Kolumbien wird nun spekuliert, dass die nach Meinungsumfragen abgeschlagene Kandidatin entführt werden wollte, um zu mehr Publicity zu gelangen; schließlich wurde sie von der Armee und der Polizei davor gewarnt, die Strecke zu befahren, da mehrere Straßensperren der Farc bekannt waren.
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