Interview mit Felix Murillo, Europa-Sprecher der kolumbianischen ELN (Nationales Befreiungsheer)
"Drogenbekämpfung ist nur ein Vorwand"
Kolumbiens Regierung gibt der ELN die Schuld am Scheitern der Ge-spräche. Sie hätte plötzlich die Entmilitarisierung einiger Gebiete für die Nationale Konvention gefordert.
In den Vorvereinbarungen stand, daß die entsprechenden Rahmenbedingungen und Garantien für die Konvention geschaffen werden müssen. Wir haben das nicht genauer spezifiziert, weil wir dachten, es sei kein Problem - schließlich wurden auch für die Gespräche mit der Farc fünf Bezirke entmilitarisiert. Warum soll nicht das gleiche für die ELN gelten?
Einfache Zusagen über Sicherheitsgarantien reichen uns nicht. Die Regierung hat auch den Bauern zugesichert, sie werde die Angriffe der Paramilitärs unterbinden.
Kolumbiens Regierung will international als Friedensstifter erscheinen. Doch während von Frieden die Rede ist, wurden die letzten Streiks illegalisiert und sieben Gewerkschaftsführer ermordet. Die Paramilitärs werden weiterhin unterstützt, und an der Spitze von Armee und Polizei stehen die größten Verbrecher. Zum Beispiel trägt der oberste Armeechef, Rafael Hernandez Lopez, die Verantwortung für Massaker an der Zivilbevölkerung. Wir werden an der Forderung nach Entmilitarisierung festhalten. Vertreter der zivilen Organisationen könnten, wenn sie Gefahr laufen, ermordet zu werden, an den Gesprächen sonst nicht teilnehmen.
Warum haben die politischen und ökonomischen Machthaber Kolumbiens anfangs denn überhaupt Gesprächen mit den Guerilla-Organisationen zugestimmt?
Wenn man sich die kolumbianische Landkarte anschaut, stellt man fest, daß überall dort, wo die Konflikte besonders intensiv sind, bedeutende Naturressourcen lagern. Wenn die Oligarchie heute davon redet, daß man Lösungen für den Konflikt in Kolumbien finden muß, meint sie damit den bewaffneten Konflikt und nicht die gesellschaftlichen Ursachen. Denn die Beendigung des bewaffneten Konflikts würde die Voraussetzungen für Kapitalinvestitionen in den entsprechenden Gebieten schaffen. Diese nationalen Interessen werden begleitet von den Interessen der US-Regierung. Auch die Bemühungen von Deutschland, Spanien oder Kanada, die Probleme in Kolumbien zu lösen, gründen nicht in deren Großzügigkeit. Sie wollen Kapitalinvestitionen in den Gebieten mit Naturressourcen und entsprechende Garantien.
Es gibt zwei unterschiedliche Optionen: Den militärischen Sieg über die Aufständischen und die sozialen Bewegungen einerseits und die Suche nach einer politischen Lösung andererseits. Ginge es nur um Investitionen, müßten alle Beteiligten auf die zweite Option setzen.
Der kolumbianische Staat und seine Verbündeten sind mit ihrem Versuch, die Aufständischen zu besiegen, gescheitert. Die kolumbianische Armee hat in den letzten Jahren nur einstecken müssen. Wir sind aus einer Position der Stärke in die Gespräche gegangen.
Nun spielt die Gegenseite die andere Möglichkeit aus: Gespräche, um so eine Lösung zu finden. Teile der Oligarchie sind bereit, nach einer politischen Lö-sung zu suchen. Aber die Großunter-nehmen, die Multis und die US-Regierung wollen nur eine Atempause, um ihre Kriegsstrategie neu konzipieren zu können. Die Geheimdienste der Armee werden von den USA modernisiert. Kolumbien ist der drittgrößte Empfänger von US-Militärhilfe nach Israel und Ägypten. 1997 betrug die Hilfe noch 88,6 Millionen Dollar, für 1999 sind mindestens 289 Millionen vorgesehen.
Warum wurde die US-Militärhilfe so hochgefahren, und welche Formen nimmt sie an?
Die Ineffizienz der Streitkräfte bereitet ihnen Sorgen. Daher ist erneut ein großer umfassender Prozeß der Ausbildung und Beratung durch die US-Regierung eingeleitet worden. Hinzu - und das ist neu - kommt die Gründung eines vermeintlichen "Antidrogenbataillons", das aus 1 500 Freiwilligen aus der kolumbianischen Armee und 350 US-Beratern bestehen soll. Das Bataillon soll angeblich im Kampf gegen den Drogenhandel eingesetzt werden, doch wir wissen genau, daß nichts die US-Regierung weniger interessiert. Gerade der Drogenhandel ist der dynamischste Faktor der kolumbianischen Wirtschaft und dient, wie bei der Iran-Contra-Affäre, der Finanzierung der Aufstandsbekämpfung, der Paramilitärs.
Was geschieht auf internationaler Ebene?
Sollte ihnen die Situation weiter aus den Händen gleiten, dann gibt es Perus Präsidenten Fujimori und andere, die Druck machen sollen. Erst vor wenigen Wochen wurde in Ecuador ein linker Parlamentsabgeordneter ermordet, der Verbindungen zu kolumbianischen Organisationen gehabt hatte. Das ist eine eindeutige Warnung.
Gleichzeitig wurde, wie sie es nennen, mit dem "militärischen Einschluß des destabilisierenden Fokus" begonnen. D.h. die Nachbarländer verlegen ihre Truppen an ihre Grenzen zu Kolumbien. Als angebliche "Antidrogenmaßnahmen" werden Truppenbewegungen in Panama, Brasilien, Ecuador und Peru durchgeführt.
Wie beurteilt die ELN den Wahlsieg von Chavez in Venezuela?
Insgeamt positiv. Chavez' persönliche Geschichte zeigt, daß er für die Ideale Simon Bol'vars im Sinne der Einheit Lateinamerikas eintritt und sich für eine nationale Souveränität stark macht. Das hat hier in Europa keinen schönen Klang, aber im lateinamerikanischen Kontext, gegenüber den USA, ist das etwas anderes und meint auch, daß die Bevölkerung wichtiger ist als die Großunternehmen.
Als direkte Folge von Chavez' Wahlsieg hat z.B. die Repression gegenüber den kolumbianischen Migranten durch die venezolanische Guardia Nacional abgenommen.
" Interview: Dario Azzelini