express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Brasilien wird nicht Weltmeister und die »Soca Warriors« aus TT nicht Letzter...
... ansonsten scheint vieles offen bei dem in den nächsten vier Wochen in hiesigen Gefilden stattfindenden Balltreterei-Spektakel. Ob so weltmeisterliche Künste wie »zunächst drei Abwehrspieler ausdribbeln und den herauseilenden Torwart aussteigen lassen, um vor dem verwaisten Tor zu zögern, den wieder heraneilenden ersten ausgedribbelten Verteidiger durch eine Körpertäuschung nicht ins Leere, sondern gegen den Pfosten laufen lassen, um dann gemütlich, mit dem Ball am Fuß, ins Tor zu schlendern, den Ball hochzuspitzeln und gemächlich, diesmal mit dem Ball unterm Arm, zum Mittelpunkt zurückzukehren« (Christian Russeau, S.137) zu bestaunen sein werden, scheint doch eher fraglich. Preisfrage: Wer war’s? Nein, nicht Jay Jay Okocha mit »Fußball 2000« gegen damals Karlsruher und Noch-Nicht-Titan Kahn, auch nicht aus dem Schalker Außensturm geschweige denn Kreisel, kein Stan, kein Rüdiger, kein Fritz und kein Ernst. Nein, das konnte nur ein Brasilianer darbieten, der leider zu oft – sicherlich auch aufgrund seiner tragischen Vita – im Schatten von Pelé gestandene Manoel Francisco dos Santos, kurz Garrincha. Alles das nachzulesen im opulenten und informativen Sammelband »Futbolistas« über lateinamerikanischen Fußball. Noch gerade rechtzeitig zum Großereignis um den Ball ist selbiger zwar Angelpunkt der diversen Artikel, das Interesse der 33 Autoren geht aber weit über fußballsportliche Betrachtungen hinaus. Mit einem Durchgang durch quasi alle lateinamerikanischen Länder werden u.a. politische, ökonomische, soziokulturelle und mediale Aspekte der ›wichtigsten Nebensache der Welt‹ angesprochen: Vom Fußballkrieg zwischen El Salvador und Honduras über Spielerhandel, Rassismus, Sexismus und Frauenfußball bis zur Ausbeutung in der Sportbekleidungsproduktion der Maquiladoras.(1)
Gerade bei den exzellenten Beiträgen einer Gegenüberstellung von »linkem« vs. »rechtem« Fußball (Jan Dunkhorst zu César Luis Menotti, S. 86ff.) in Argentinien, »Zapatismus, Fußball und Rebellion in Mexiko« (Dario Azzellini, S.99ff.) und »futebol arte« vs. »futebol de resultados« in Brasilien (Thomas Fatheuer, Fragmente einer Theorie des brasilianischen Fußballs, S. 112ff.) fühlt man sich an die auf hiesige Verhältnisse einer »nahtlosen Übereinstimmung von Fußball und Politik« projizierten These (Norbert Seitz, Bananenrepublik und Gurkentruppe, Ffm 1987) erinnert.
Wenigstens soweit scheint’s auch 2006 zuzutreffen: Die ›Seleção‹ wird mit zuviel arte grandios und tragisch scheitern (wie 82, 86 und 98), die Vorschusslorbeeren eines Lula da Silva sind schon längst aufgebraucht. Den Argentiniern fehlt nicht nur die »Hand Gottes«, sondern auch der Weg aus der (ökonomischen) Krise heraus; schade eigentlich, dass die südamerikanischen Herausforderer Bolivien und Venezuela nicht zugegen sind.
Nur gut, dass der teutonische Dampfhammer-Kick (Kohl/Briegel/Schuhmacher besonders in den 80ern) selbst für Selbige keinen Erfolg zu versprechen scheint..., die jugendliche Rasselbande könnte da wahrlich einiges reißen, und wie wir schon im express 6-7/2002 zu berichten wussten, könnte dies zur Folge haben, dass »Deutschland Weltmeister wird und die Arbeitslosen weg sind«(2) inkl. Wachstum, ›blühenden Landschaften‹ etc. pp. So ist und bleibt es attraktiv, sich in diesem Metier schon jetzt dezidiert anti-deutsch zu positionieren, die anschwellenden patriotischen und nationalistischen Töne geistern nicht nur und schon jetzt nachhaltig durch alle Medien...
Auch deshalb: Die Oranjes werden Weltmeister!
1) Bleibt zu hoffen, dass die (Boykott-)Kampagnen gegen nicht nur Sportartikel-Multis durch die WM an Fahrt aufnehmen (etwa der Boykott gegen einen WM-Hauptsponsor wie Coca Cola, s.a. auf S. 10 Beitrag unten).
2) Mit dem bitteren Beigeschmack, dass sich u.a. so namhafte »Global Player« wie Postbank und Deutsche Bahn durch ihren Einstieg ins weltmeisterliche Wettgeschäft betriebswirtschaftlich schwer verkalkuliert hätten.
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