Ein Interview mit Miguel Angel Sandoval über den Friedensprozess, die Landfrage und die gespaltene Linke
“Es gibt Raum für eine Linke“
Miguel Sandoval arbeitet als Berater des CALDH, des Zentrums für juristisches Vorgehen in Menschenrechtsfragen. Das CALDH führt die Klagen gegen die für schwere Menschenrechtsverbrechen verantwortlichen guatemaltekischen Politiker und Militärs. Viele von ihnen sind nach wie vor in der Politik aktiv, wie etwa der grausame Ex-Diktator Ríos Montt. Miguel Sandoval war viele Jahre Mitglied der Guerilla Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca (URNG). In dieser Zeit war er an dem 1996 unterzeichneten Friedensabkommens zwischen der damalige Regierung Alvaro Arzú und Guerilla maßgeblich beteiligt. Ein Jahr später trat er aus der URNG aus, die sich 1998 in eine politische Partei umwandelte. Der Grund: Er gehörte einem Minderheitenflügel an, der auf die Stärkung der sozialen Bewegungen setzte.
Herr Sandoval, viele AktivistInnen sozialer Bewegungen sind Mitglieder oder waren „Kader“ der ehemalige Guerilla und heutigen Partei URNG. Warum schafft es die URNG nicht, dies in politisches Kapital umzumünzen?
Das Hauptproblem ist, dass die Ex-Guerilla-Linke nicht in der Lage gewesen ist sich von vertikalen, in vielen Fällen autoritären, politisch-militärischen Organisationen in breite, demokratische politische Organisationen umzuwandeln. Die URNG hat nach Unterzeichnung des Friedensabkommens im Dezember 1996 eine falsche Entscheidung getroffen. Denn auch wenn sie Partner der Regierungspartei beim Friedensprozess und Unterzeichnung der Friedensabkommen war, hätte sie danach eine andere Dynamik auslösen und die Erfüllung der Friedensabkommen einfordern müssen. Sie hätten soziale Kräfte mobilisieren müssen, um Druck auszuüben, aber das ist nicht geschehen. Das ging so weit, dass in einigen Sektoren im ersten Halbjahr 1997 der Eindruck bestand, die URNG habe mit der amtierenden Regierung einen Pakt abgeschlossen, der ihr die Hände gebunden hatte.
Die Folge war, dass die amtierende Regierung der PAN einer neoliberalen Umgestaltung den Vorzug gab, anstatt sich zuerst an die Umsetzung der Abkommen zu machen. Die URNG hat darauf nicht energisch reagiert, sondern alles zugelassen und so ihr Profil als Oppositionspartei verloren. Heutzutage ist die URNG – neben der Tatsache, dass es sich um die historische Linke handelt, die die Friedensabkommen unterschrieben hat – nicht als Oppositionspartei in der Gesellschaft wahrzunehmen. Das ist schwer anzuerkennen und erklärt auch die internen Probleme.
Wie lässt sich die Politik der Regierung der rechten FRG beschreiben?
Viele Beobachter sprechen von einer Parteidiktatur in Guatemala. Während der vergangenen zwei Jahre haben Korruptionsskandale die Regierung nahezu täglich erschüttert. Präsident Alfonso Portillo und die Regierung umgeben sich mit Personen, die zum organisierten Verbrechen gehören. Das hat sogar dazu geführt, dass die US-Regierung etwa 30 Regierungsvertretern das US-Visum entzogen hat. Hinzu kommt, dass die Parlamentsmehrheit genutzt wurde alle Kontrollinstanzen des Staates mit eigenen Leuten zu besetzen. Diese gehen nicht mehr ihren eigentlichen Aufgaben nach, sondern folgen den Interessen der Regierung. Das Ergebnis ist die fast vollständige Aufkündigung aller Friedensabkommen. Es werden nur noch wenige kleine Programme durchgeführt, und das nur um die internationale Gemeinschaft zu beruhigen. Dabei geht es gar nicht um den Friedensprozess im eigenen Land. Die Folge: Fast sieben Jahre nach Ende des bewaffneten Konfliktes kann in Guatemala immer noch nicht von einem Friedensprozess die Rede sein.
Verfügt die Armee über gute Beziehungen zur FRG und Präsident Alfonso Portillo ?
Sie ist eng mit der FRG verknüpft. So sehr, dass sogar der Sohn des Ex-Diktators Ríos Montt nun zum Verteidigungsminister ernannt werden soll. Der verfügt aber nicht über die notwendigen Erfahrungen für den Job. Die Diskussion um den Posten des Verteidungsministers hat zu Unstimmigkeiten in der Armee geführt.
Warum bekommt die Armee heute mehr Geld, als noch während des Krieges?
Das ist eine der besorgniserregendsten Entwicklungen in Guatemala. Die Militärs sollten nach Ende des Krieges um ein Drittel reduziert werden, ebenso wie ihre Finanzen. Aber Tatsache ist, dass Alfonso Portillo sie nur in einigen Aspekten reduziert hat. Die Haushaltsposten der Armee sind dagegen noch so hoch wie während des Krieges. Der Grund sind Sonderzuweisungen des Präsidenten. Das zeigt, dass sich die Armee dagegen sträubt Macht abzugeben. Auf der anderen Seite besteht der Verdacht, dass diese Finanztransfers in Wirklichkeit Aktionen zur Geldwäsche sind.
Die Bauernbewegung scheint eine der wenigen mobilisierungsfähigen sozialen Kräfte in Guatemala zu sein. Was kennzeichnet sie?
Während der vergangenen zwei Jahre brach eine massive Krise über den Kaffeesektor herein. Kaffee war in Guatemala das Hauptanbauprodukt des vergangenen Jahrhunderts. Durch die Krise haben bereits 350.000 Bauern ihre Arbeit verloren. Viele Fincas sind verlassen. Die Krise hat viele campesinos mobilisiert. Mittlerweile haben sie mehr als 60 Fincas besetzt. Die Bauerndemonstrationen symbolisieren die Verzweiflung der Bevölkerung. Erst vor wenigen Wochen kamen wieder Zehntausende in die Hauptstadt, um zu demonstrieren. In diesem Jahr werden die Bauernkämpfe im ganzen Land zunehmen und es wird keinen Weg geben, sie aufzuhalten, es sei denn mit einer massiven Repression wie Anfang der 80er, aber das scheint heutzutage ausgeschlossen. Ich glaube nicht, dass es auch nur einen Sektor in Guatemala gibt, der eine solche Repression gutheißen würde.
Zu den Friedensabkommen zählt auch die Regelung der Landfrage. Gibt es hier schon Lösungen?
Die Landfrage hat sich in letzter Zeit zugespitzt. Die Friedensvereinbarungen hat Portillo in ihren formalen Bestandteilen erfüllt. Das heißt es wurden Kommissionen gebildet und Gesetze verabschiedet. Aber sie werden nicht befolgt. Die grundlegenden Probleme sind die Kommissionen aber gar nicht angegangen – dazu zählt auch die Landfrage. Über sechs Jahre nach Unterzeichnung der Friedensabkommen bleiben auch hier die Vereinbarungen unerfüllt. So hat bislang keiner das Landeigentum überprüft und richtig vermessen.
Der Agrarfond, der eigentlich dazu dienen sollte Ländereien für arme Bauern zu kaufen, ist ein Hort der Korruption. Es wurden Ländereien, Fincas, zu völlig überhöhten Preisen gekauft und die Vermittler haben dafür noch Bestechungsgelder kassiert. Das hat dazu geführt, dass die Unzufriedenheit auf dem Land stetig wächst. Das drückt sich in Mobilisierungen aus, vor allem in Besetzungen von Fincas und Bauernmärschen. Diese sind mittels traditioneller Politik kaum kontrollierbar. Von den etwa 60 besetzten Fincas sind 80 Prozent Staatseigentum. Die Regierung hätte sie schon vor vielen Jahren an die Bauern verteilen müssen. Das zeigt einerseits, wie wenig sich die FRG darum kümmert, die Abkommen zu erfüllen. Andererseits verdeutlicht es, dass die soziale Mobilisierung und der soziale Druck der einzige Weg sind, um die Einhaltung der Abkommen zu forcieren.
Die Landfrage ist nicht geklärt. Wie sieht es mit den Rechten der indigenen Bevölkerung aus?
Guatemala ist international als die Wiege der Maya-Kultur bekannt. Die Maya-Kultur ist eine der so genannten „starken Kulturen“. Das heißt, dass sie sich als eigenständige Kultur entwickelt und erhält. In Guatemala sind etwa 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung Mayas. Ihre Situation ist also von zentraler Bedeutung. Dennoch hat die FRG seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen zu „Identität und indianische Rechten“ faktisch nur eine Vereinbarung umgesetzt. Sie hat paritätische Kommissionen gegründet zur Diskussion verschiedener Themen des Abkommens im ersten Jahr: Dazu zählen unter anderem Spiritualität, Land, indianisches Recht, Partizipation auf allen Ebenen und die Rechte der indigenen Frauen. Alle Kommissionen haben Änderungsvorschläge erarbeitet, aber nicht einen einzigen hat Portillo umgesetzt.
Heute ist die indianische Bewegung ein neuer Akteur. In den vergangenen Jahren hat sie sich neben den Bauernbewegungen als mobilisierende Kraft etabliert. Beide Bewegungen werden in den nächsten Jahren mit ihren Protesten auf der Tagesordnung Guatemalas stehen.
Dennoch hat bei vergangenen Wahlen die extreme Rechte zugelegt. Die Linke erreicht dagegen nicht ihr Ziel. Und die URNG lag bei rund zehn Prozent. Wie kann es sein, dass die extreme Rechte, die FRG um Ríos Montt, immer noch Stimmengewinne auf dem Land verzeichnet?
Das ist sehr schwer zu begreifen. Die guatemaltekische Gesellschaft ist zutiefst konservativ, auch wenn es schwer fällt das anzuerkennen und zu akzeptieren. Und die mangelnde demokratische Tradition Guatemalas führt dazu, dass auf „Caudillos“, Führer, ausgerichtete politische Organisationen nach wie vor viel Gewicht haben. Hinzu kommt die spärliche Verankerung der Linken als Partei. Zugleich sind aber alle sozialen Bewegungen im Land von Linken initiiert und getragen, aber eben nicht von Parteilinken. Die beiden Gruppen sind gespalten. Erst wenn es ihnen gelingt, sich zusammen zu tun, werden sie einen bemerkenswerten Erfolg in ihren Wahlergebnissen erleben.
Im November sind Wahlen, welche Perspektiven hat die URNG?
Viele Leute hegen die Hoffnung einer Wiedervereinigung der parteipolitischen Linken mit den sozialen Bewegungen. Obwohl Guatemala eine konservative Gesellschaft ist, gibt es Raum für eine Linke. Die Partei hätte viel mehr Möglichkeiten. Dann dürfte sie sich aber nicht gegenüber außerparteilichen Interessenten taub stellen und müsste eine wirkliche Oppositionsrolle einnehmen. Dafür sehe ich allerdings wenig Chancen.
Ich denke wir werden eine gespaltene Linke bei den Wahlen sehen, die mit ihren Streitigkeiten beschäftigt sein wird – zur Freude und zum Vorteil der Rechten. Damit wird die Linke fünf bis sechs Prozent der Stimmen bekommen, mehr nicht. Die guatemaltekischen Parteilinken glauben die Gralshüter des linken Denkens zu sein und verstehen nicht, dass die Linke ein politisches, soziales und kulturelles Phänomen ist. Alles was nicht parteipolitisch ist, wird nicht gesehen, nicht anerkannt, ausgeschlossen, während das parteipolitische ohne den Rest kein großes Gewicht hat.
Wie ist die Situation in den 13 Gemeinden, die von der URNG kontrolliert werden? Ist dort eine andere Politik spürbar?
Die URNG hat dort die Bürgermeisterwahlen gewonnen, mehr nicht. Sie hatte bestimmt ein Interesse dort ein alternatives Modell zu schaffen, doch das ist nicht geschehen. Die Bürgermeister beschweren sich kontinuierlich über die mangelnde Unterstützung seitens der Parteistrukturen. Daher wird der Sieg bei den nächsten Wahlen dort nicht mehr so leicht wie beim ersten Mal sein. Es gibt zu wenig Anzeichen eines alternativen Projekts, einer anderen Art Politik zu machen, eines starken Engagements der politischen Institutionen.
In Brasilien entwickelte die Arbeiterpartei PT beispielsweise in einigen Gemeinden den partizipativen Haushalt. Das gab den Kommunen der PT – nicht in allen – aber doch in vielen Fällen, eine eigene Note. In Guatemala gibt es kein Merkmal, das die Kommunalpolitik der Linken charakterisiert, wo sie die Bürgermeisterämter besetzt. Es hätte eine andere Verwaltung entwickelt werden können, es hätte von diesen Gemeinden eine Gestaltungsweise ausgehen können, die auf andere abfärbt. Aber das ist nicht der Fall.