Im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas haben bewaffnete Aktionen indianischer Guerilleros 65 Tote gefordert/Ärmste Region stark politisiert
BlutigeSpur „revoltierender Kleinbauern“
Die zum Großteil deutschenAlternativtouristen in San Cristobal de las Casas staunten nicht schlecht, als am 1. Januar bewaffnete indianische Verbände die Stadt besetzten. Die indianischen Guerilleros, die sich als Angehörige des „Zapatistischen Nationalen Befreiungsheeres“ (EZLN) bezeichnen, drangen am Neujahrsmorgen in die in der mexikanischen Grenzregion zu Guatemala, Chiapas, gelegene Stadt ein, brannten den Justizpalast nieder, verwüsteten das Rathaus und verteilten Waren aus Supermärkten und Apotheken an die Bevölkerung.
Mindestens 65 Tote soll es bisher bei den Zwischenfällen, die insgesamt fünf Städte in der mehrheitlich von Indianern bewohnten Region erfaßt hatten, gegeben haben. Allein 29 der Todesfälle ereigneten sich bei einem Angriff der EZLN auf einen Armeestützpunkt in der Nähe von San Cristobal.
Während die Guerilla aus der 80 000 Einwohner zählenden Stadt San Cristobal – nachdem sie auch das Gefängnis gestürmt und 178 Häftlinge befreit hatten – wieder abrückte, blieben andere Ortschaften wie zum Beispiel Ocosingo, Altamirano und Las Margaritas weiterhin besetzt.
Die Aufständischen die sich nach dem mexikanischen Revolutionshelden und Bauernführer Emiliano Zapata (1879 – 1910) nennen, haben sogar der mexikanischen Armee den Krieg erklärt. Die nach Angaben der Regierung 200, nach Zeugenaussagen 2000 Kämpfer zählende EZLN kündigte an, die mehrheitlich indianischen Gebiete befreien zu wollen, und riefen die indianische Bevölkerung dazu auf, den Marsch auf die Hauptstadt Mexico D.F. anzutreten. Die indianischen Guerilleros werden von Armee und Regierung als „revoltierende Kleinbauern“ bezeichnet, doch Augenzeugen sprechen von gut organisierten und mit modernen Waffen sowie technischer Ausrüstung ausgestatteten uniformierten Einheiten. Die EZLN bezichtigt die mexikanische Regierung des Völkermords an der indianischen Bevölkerung und bezeichnet die Armee als „Pfeiler der Diktatur“ der seit Jahrzehnten allein herrschenden PRI-Partei und des aktuellen Staatspräsidenten Salinas de Gortari.
Die Unruhen gelten als die schwersten seit 20 Jahren; bereits mehrfach hatte es in den vergangenen Jahren Versuche gegeben, in Mexiko eine Guerilla zu etablieren, doch bisher endeten die Organisationen stets als kleine unbedeutende Splittergruppen oder wurden von der Armee, mitsamt ihres Umfeldes, brutal massakriert.
Wie sich die Situation weiter entwickeln wird, ist im Moment nicht abzuschätzen,doch das es sich um mehr als um eine „Revolution“ handelt, ist klar. Chiapas ist eine der ärmsten Regionen Mexikos und war schon häufig Ort sozialer und politischer Unruhen. Auch tausende guatemaltekische Flüchtlinge leben in dem Grenzgebiet, wobei die Bevölkerung beiderseits der Grenze teilweise den gleichen indianischen Gruppen angehört. Die guatemaltekischen Indianer, die vor dem Völkermord der Armee Guatemalas fliehen, werden in Chiapas wiederum ebenso wie ihre mexikanischen Brüder und Schwestern von der mexikanischen Armee und Polizei drangsaliert.
Die Landbevölkerung in der Region gilt als stark politisiert und geriet deshalb auch immer wieder ins Schußfeld der Regierung. Viele der Bauern sind landlos, daher organisieren sie sich oft in sogenannten „Widerstandsdörfern“. Diese Dörfer besetzen gemeinsam Ländereien und bauen kollektive Strukturen auf. Gemeinsames Arbeiten gehört ebenso dazu wie Alphabetisierung, Schulunterricht, politische Bildungsarbeit und Diskussionen. Die Dörfer werden gemeinsam verwaltet, Entscheidungen in Dorfversammlungen getroffen.
Doch die „Widerstandsdörfer“ werden immer wieder von paramilitärischen Einheiten der Polizei brutal geräumt. So als 1991 mehrere besetzte Siedlungen in den Bergen um San Cristobal mit Hubschraubern angegriffen und beschossen wurden. Die Bewohner flüchteten in die umliegenden Wälder.
Der Widerstand der größtenteils indianischen Bevölkerung bleibt dabei meist allein, die Städte, vor allem San Cristobal, sind eher Domänen der mestizischen, der nichtindianischen Bevölkerung. So war den auch die stark von der Alternativkultur geprägte Linke in San Cristobal 1991, zum Zeitpunkt der Angriffe und Vertreibungen der indianischen Bevölkerung, mit Stelltafeln zur Rettung des Regenwaldes beschäftigt.
Die „Indianer sind in den Städten, bieten sie nicht gerade den zahlreichen Touristen ihr buntes Kunsthandwerk an, nicht gern gesehen. Sie werden oft von der schwerbewaffneten Polizei angehalten und schikaniert, müssen Schmiergelder bezahlen, um nicht wie viele andere im Gefängnis zu landen. Das Entstehen einer „Indianer-Guerilla“ war eigentlich zu erwarten. Die linke mexikanische Tageszeitung „la Jornada“ berichtete zuerst imMai letzten Jahres von Gefechten zwischen indianischen Guerilleros und der mexikanischen Armee im Grenzgebiet zu Guatemala. Damals blieben die Berichte unbestätigt.
Nach Zeugenaussagen formiert sich die Guerilla dort bereits seit acht Jahren. Ihr potentieller Sympathisanten-Kreis könnte sich auch rasch über die zu 68 ethnischen Gruppen gehörenden 12 Millionen Indianer auf die verarmte Landbevölkerung ausdehnen. Denn auch diese hat von der seit Jahrzehnten stattfindenden „institutionalisierten Revolution“ nicht viel zu spüren bekommen.