Interview mit Onecimo Hidalgo, Repräsentant der Conai (Comision Nacional de intermediacion)
Was will der mexikanische Staat?
Die Nationale Vermittlungskommission Conai wurde 1994 von Bischof Samuel Ruiz aus San Cristobal ins Leben gerufen, um die Verhandlungen zwischen Regierung und EZLN zu begleiten
Wie kann der mexikanische Innenminister Emilio Chauyffet weiter darauf beharren, es handele sich bei dem Massaker von Acteal um das Ergebnis von "interkommunitären" Konflikten? Schließlich besteht kaum mehr ein Zweifel daran, daß Mitglieder der Regierungspartei PRI in den Überfall paramilitärischer Gruppen involviert waren.
Auf diese Weise soll versucht werden, einen Konflikt zu verdunkeln, der Teil eines umfassenderen, staatlich geplanten Krieges ist. Als religiöses Problem konnte die Situation in der Region Chenalho nicht dargestellt werden, da sowohl der offizielle Bürgermeister wie der der autonomen Gemeinde von Chenalho Presbyterianer sind. Also wird nach einem anderen Vorwand gesucht. Und deshalb wird der Konflikt als interkommunitärer dargestellt. Wie ist es sonst möglich, daß 27 Gemeinden die Präsenz von Paramilitärs angezeigt haben? Der Innenminister versucht, die Regierungsstrategie zu verheimlichen, die darin besteht, nicht die Armee auf die EZLN loszujagen, sondern die PRI-Basis auf die zapatistische, und so Konflikte an der Basis auszulösen.
Die Regierungsstrategie scheint darauf hinauszulaufen, öffentlich zu erklären, daß alle Konfliktparteien, also Paramilitärs und EZLN, "verhandeln" müßten. Das Ergebnis solcher Verhandlungen kann dann natürlich nur die Rückkehr zum vorherigen Status quo sein.
Wie wird die Conai gegenüber einer solchen Strategie reagieren?
In der Geschichte von Chiapasá hat es bereits zwei Mal Indigena-Kriege gegeben, die auch Aufstände gegen die Marginalisierung, den Rassismus, die Armut und die Ausbeutung waren. Auch damals wurden von Regierungsseite andere Konfliktursachen vorgeschoben. Heute werden paramilitärische Gruppierungen geschaffen, um sie der EZLN gegenüberzustellen. Die Regierung will dann als Vermittlerin auftreten, wo sie doch die Hauptverantwortung für diese Strategie trägt. Als Conai sprechen wir weder für die Regierung noch für die EZLN. Wir wollen die Seiten nur einander näherbringen und die Verhandlungen erleichtern. Aber man darf nicht vergessen, daß die EZLN fünf Bedingungen gestellt hat, um die Gespräche mit der Regierung wieder aufzunehmen. Eine davon ist die Auflösung der paramilitarischen Gruppen. Die Verhandlungen sollen mit der Regierung und nicht mit den Paramilitärs stattfinden. Diese Bedingung wurde bisher nicht erfüllt. Und hier ist die Regierung gefragt und nicht die EZLN.
Eine ähnliche Situation existiert auch in Kolumbien, wo die Guerilla es ablehnt, mit den Paramilitärs zu verhandeln, da sie die Gesamtverantwortung bei der Regierung sieht. In den letzten Monaten erinnert die Situation in Chiapas stark an Guatemala und Kolumbien...
Ja, es ist das gleiche Schema, auch wenn sich die Situation in Mexiko von der in den andern Ländern unterscheidet. Die EZLN ist unter anderen Bedingungen entstanden. Es gab keine Sowjetunion und auch kein sandinistisches Nicaragua mehr. Kuba ist auch keine Unterstützung, die Berliner Mauer ist gefallen, und wir befinden uns mitten in einem Prozeß nationaler und internationaler Neuordnung der Kräfte. Dann spielt natürlich auch die Form eine Rolle, in der sich die EZLN auf internationaler Ebene bewegt hat. Das hat zu einer großen Solidarität geführt, so daß es bisher nicht zu einem Vernichungskrieg gekommen ist wie anderswo und wie es die Regierung ursprünglich vorhatte. Diese Bedingungen schaffen für die Zivilgesellschaft Möglichkeiten zu intervenieren.
International wird von der Solidaritäts-Bewegung etwa versucht, Mexikos Ökonomie zu treffen. Zum Beispiel wird versucht, Druck auszuüben, damit die Staaten der EU sich gegen die Ratifizierung des Abkommens mit Mexiko aussprechen, wenn es nicht eine minimale Respektierung der Menschenrechte gibt. Das alles hat auch etwas mit der Neuordnung der Märkte zu tun... Es sind andere Rahmenbedingungen als vor zehn oder 20 Jahren.
Wie sieht die "Kriegsführung niederer Intensität" in Mexiko genau aus?
Zentral ist, daß die Regierung natürlich nicht zugibt, daß Krieg herrscht. Zudem kann man beobachten, daß die Paramilitärs genau in den Gebieten der EZLN auftauchen und geographisch eine Barriere Richtung Küste und dem Gebiet der geplanten interozeanischen Verbindung bilden. Dort sind die besseren Böden, und in dieser Region sollen auch Freihandelszonen entstehen. Daher soll es dort, wo die unmittelbaren ökonomischen Interessen stark sind, ruhig bleiben, während es ansonsten egal ist, ob sich die Indios umbringen. Hier wird das ganze Gebiet vom Aufbau paramilitärischer Gruppen erfaßt. Wenn wir uns die Karte anschauen, so stellen wir fest, daß überall erst die Nationalpolizei Seguridad Publica Präsenz zeigt. Sie schürt die Konflikte in den Gemeinden. Irgendwann tauchen dann Leichen auf, und die Polizei präsentiert die Situation der Öffentlichkeit als Gemeindekonflikt, Hexerei oder anderes.
Alldem liegen natürlich politische Konflikte zugrunde: Die Leute sind aufständisch geworden, sie wollen diese Regierung nicht mehr, aber auch nicht den Krieg. Es ist offensichtlich, daß dieser Krieg in den höchsten Sphären der Regierung geplant wird, und so dienen auch viele Regierungsumbildungen einzig dem Ziel, diese Kriegsführung zu verfeinern. Es wurde bereits nachgewiesen, daß jede paramilitärische Gruppe an einen Abgeordneten gebunden ist. Man sieht also, es handelt sich um ein gut durchdachtes Schema, mit dem die PRI-Gemeinden militärisch organisiert werden. Das Ganze läuft in direkter Verbindung mit einer zunehmenden Militarisierung der Region. So findet sich dann auch unter dem Dokument, das der paramilitärischen Gruppe "Paz y Justicia" von seiten der Regierung mehrere Millionen Pesos für "Anbau und Viehzucht" zukommen läßt, keine einzige Unterschrift aus der zuständigen Behörde. Dafür aber die des Oberbefehlshabers der 7. Militärregion, Mario Renan Castillo. Die paramilitärischen Gruppen sind der Vorhang, hinter dem sich die Armee versteckt. Militär und Polizei bilden die Paramilitärs für den Krieg gegen die zapatistischen Gemeinden aus, tauchen aber selbst nicht auf und können so wegen dieser Taten nicht angeklagt werden.
Daß die PRI-Gemeinden sich die Hände schmutzig machen oder der Bürgermeister von Chenalho inhaftiert wird, ist ein tragbares Opfer, solange Polizei und Armee sauber bleiben. Dieses Vorgehen ist einerseits die Folge davon, daß Armee und Polizei in bestimmte Gebiete nicht mehr eindringen konnten und - auf Kosten der 45 Toten - andererseits der Vorwand, um jetzt genau dorthin vorzudringen. Das System und die Regierung tauchen nicht mehr auf. So soll verhindert werden, daß man sie verantwortlich machen kann.
Wie sieht die Beteiligung der USA aus?
Es gibt in Mexiko eine ganze Reihe US-amerikanischer Militärberater und zudem noch den ökonomischen und politischen Druck.
Welche ökonomischen Interessen bestehen in den indianischen Gebieten?
Im zapatistischen Gebiet und angrenzenden Regionen befinden sich große Erdölvorkommen. Vor dem Aufstand soll die staatliche mexikanische Erdölgesellschaft Pemex dort zwölf Ölfelder ausgemacht haben. Sie mußte aber das Gebiet nach dem Aufstand verlassen. Hinzu kommen Uran-Vorkommen und Bauxit sowie sehr gute Ländereien, an denen verschiedene multinationale Konzerne Interesse haben. Zudem produzieren die Staudämme, die sich dort befinden, 52 Prozent der gesamten hydro-elektrischen Energie Mexikos, und es existieren weitere Staudamm-Projekte. Deshalb setzt die Regierung die bereits unterschriebenen Abkommen mit der EZLN, die eine Autonomie für Indigena-Gebiete beinhalten, nicht um.
Der Innenminister fordert nun die EZLN auf, wieder zu verhandeln. Das scheint das Ziel des Massakers gewesen zu sein. Doch mit dem, was über die Verantwortung von PRI und Polizei bekannt geworden ist, scheint die Strategie nicht aufgegangen zu sein...
Ja, so ist es. Die PRI erscheint nun als die Partei der Paramilitärs. 1998 sind in Chiapas Wahlen, und wenn die PRI nicht handelt, werden sich die Kräfteverhältnisse ändern. Das linksoppositionelle Sammelbecken PRD hat in Chiapas bisher keine sonderliche Präsenz, und die Campesino-Organisationen überlegen nun, aus dieser Partei ihr Kampfinstrument zu machen. Man sollte nicht vergessen, daß nicht nur die EZLN besteht, sondern daß es 1994 in Chiapas ein Basisbündnis von 182 Organisationen gab. Die Regierung hat sie teilweise gespalten, und im Moment ist nicht viel von ihnen zu vernehmen. Aber sie existieren noch und werden zu einem bestimmten Zeitpunkt auch wieder in Erscheinung treten.
Was wird in nächster Zeit geschehen?
Es gibt Gerüchte, daß die paramilitärische Gruppe "Paz y Justicia" eine Offensive gegen die zapatistischen Gemeinden vorbereitet. Sie hat gesehen, daß der Druck gegen die Paramilitärs größer wird und will daher schnell Fakten schaffen. Im großen und ganzen wird es wohl so weitergehen wie bisher: eine Kombination aus selektiven Morden und wahllosen Massakern. Für die Regierung ist es wichtig, psychologischen Terror in der Bevölkerung zu schaffen. Ziel der Kriegsführung niederer Intensität ist es, Herzen und Köpfe zu erobern oder sie zu vernichten. Aber das wird den begonnenen Kampf nicht mehr aufhalten können. Wir haben gesehen, daß die indianischen Gemeinden sich eher ermorden oder vertreiben lassen, als wieder zur PRI zurückzukehren. Und es ist die nationale und internationale Solidarität, die es ihnen ermöglicht durchzuhalten.
" Interview: Dario Azzellini / Karina Ochoa, San Cristobal des las Casas
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