Mexiko: EZLN-Comandantes wollen mit neuer Regierung verhandeln
Zapatistas testen Fox
Mexikos neuer Präsident Vicente Fox macht bisher hauptsächlich kosmetische Zugeständnisse an die indianischen Rebellen, während die EZLN grundlegende Veränderungen fordert.
Über 3.000 Anhänger der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee EZLN versammelten sich in der Silvesternacht, um den siebten Jahrestag des Aufstandes indianischer Kleinbauern im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas zu feiern. Am 1. Januar 1994 hatten die Zapatisten mit einer bewaffneten Rebellion die scheinbare politische Ruhe in Mexiko abrupt unterbrochen. Nach nur zwei Wochen wurden die Kampfhandlungen ausgesetzt und die Guerilla, die mit ihrem charismatischen Subcomandante Marcos und seinen poetischen Erklärungen nicht nur die Herzen vieler Mexikaner eroberte, sondern auch international so viel Sympathie erlangen konnte wie kaum eine Guerilla zuvor, begann mit der Regierung der Partei der Institutionalisierten Revolution PRI zu verhandeln. Immer wieder versuchte diese, die EZLN auszutricksen, hielt sich nicht an das am 16. Februar 1996 unterschriebene Abkommen über Rechte und Kultur der indianischen Bevölkerung und militarisierte das Aufstandsgebiet immer weiter.
Im November 2000 waren in dem Bundesstaat über 63.000 Soldaten stationiert, das Gebiet ist übersät mit Militärposten und durchdrungen von paramilitärischen Gruppierungen, - die bei ihrem grausamsten Massaker an Weihnachten 1997 im Dorf Acteal 45 Männer, Frauen und Kinder ermordeten. Aber nach sieben Jahren ist die EZLN immer noch da und Präsident Ernesto Zedillo nicht mehr, wie Subcomandante Marcos in einem Kommuniqué kürzlich ironisch anmerkte.
Die Basis der zapatistischen Guerilla feierte in der Neujahrsnacht mit Tanz, Gedichten und Grußbotschaften verschiedener mexikanischer und internationaler Organisationen. Comandante David, ehemaliger Leiter der Verhandlungsdelegation der Zapatisten, verlas eine Erklärung, in der er die neue mexikanische Regierung aufforderte, die mitten im zapatistischen Gebiet in sieben Militärcamps stationierten Soldaten unverzüglich zurückzuziehen; die in drei Bundesstaaten über hundert inhaftierten Zapatisten freizulassen und das Gesetz über indianische Rechte und Kultur parlamentarisch zu verabschieden. Weiterhin rief er die mexikanische Zivilgesellschaft auf, diese Forderungen und die geplante Reise von 22 Comandantes der EZLN in die Hauptstadt Ende Februar zu unterstützen. Die Zapatisten wollen dort vor den Abgeordneten des Kongresses ihren Standpunkt zu der Gesetzesinitiative darlegen. Auf dem Weg in die Hauptstadt werden sie am 3. Indigenen Nationalkongress teilnehmen.
Am 2. Januar drangen 700 unbewaffnete Anhänger der Zapatisten auf das Gelände des Militärcamps Jolachoj, im Bezirk San Andrés Larrainzar ein und forderten lautstark den Abzug der Soldaten. Präsident Vicente Fox, der nicht müde wird zu betonen er suche das Gespräch mit den Zapatisten, erteilte tatsächlich den Befehl für den sofortigen Rückzug der Militärs aus dem betroffenen Camp.
Fox: Mann des Dialogs und des Friedens?
Fox hatte Anfang Dezember des vergangenen Jahres als erster Kandidat der Opposition nach 71 Jahren Herrschaft der PRI die Präsidentschaft in Mexiko übernommen. Bei den Wahlen am 2. Juli war das Unglaubliche geschehen, "die perfekte Diktatur", wie das PRI-System oft bezeichnet wurde, fand ihr Ende. Doch ist der neue Präsident, ein ehemaliger Coca-Cola-Manager, von der erzkonservativen Partei der Nationalen Aktion PAN nicht gerade der vertrauenswürdigste Partner für eine friedliche Lösung des Konfliktes in Chiapas. Er ließ im Wahlkampf verlauten, er könne das "Indianerproblem" in 15 Minuten lösen und seine Partei wehrte sich ebenso wie die PRI gegen die Verabschiedung der Gesetze zu den ausgehandelten indianischen Rechten. Und so begegnet die EZLN seinem Amtsantritt mit Zurückhaltung und kritisierte scharf die wirtschaftspolitischen Ideen des neoliberalen Wunschkandidaten der USA.
In Mexiko wie international stellt sich der neue Präsident Vicente Fox gerne als Mann des Dialogs und des Friedens dar. Er wiederholt unaufhörlich, die Gespräche mit der EZLN so bald wie möglich aufzunehmen, um eine friedliche und politische Lösung des Konflikts zu erreichen. Und so ist die Situation in Chiapas das bestimmende Thema in den Medien seit dem Amtsantritt Fox'. Wie bei einem Tennisspiel verläuft seit Anfang Dezember ein Schlagabtausch zwischen Präsident und Guerilla. Der mediengeübte Präsident Fox verkündet vollmundig seine Maßnahmen in Richtung Frieden. Die EZLN macht immer wieder deutlich, was für einen wirklichen Frieden aus ihrer Sicht tatsächlich geschehen muss.
Ein Blick hinter die markigen Worte des Präsidenten auf die Realität lässt die bisher eingeleiteten Schritte eher als halbherzig erscheinen. Um die Gespräche über eine politische Lösung des Konfliktes in Chiapas wieder aufzunehmen, fordert die EZLN die Annahme des Gesetzes über indianische Rechte und Kultur durch den Kongress, den Rückzug von Armee und Polizei aus zumindest sieben zentralen zapatistischen Regionen und die Freilassung der inhaftierten Zapatisten.
Vicente Fox erklärte, allen Forderungen der Zapatisten entsprechen zu wollen und verkündete gleich am ersten Tag nach seinem Amtsantritt den Rückzug der Armee und die Aufhebung der Straßenkontrollpunkte. Die Gesetzesvorlage zu den Rechten der indigenen Gemeinden brachte er persönlich in den Kongress ein, wo sie Ende Februar diskutiert werden soll. Sogar einige Zapatisten wurden freigelassen.
Vordergründig scheint alles auf bestem Wege und die internationale Presse applaudiert dem vermeintlichen Friedensengel Fox. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich ein deutlich anderes Bild. Der vermeintliche Rückzug der Armee beschränkt sich auf vier Gemeinden in nur einem der fast 40 umstrittenen Bezirke. Von den 63.000 in Chiapas anwesenden Soldaten wurden gerade mal 1.500 zurück gezogen, und das auch nur in ihre Kasernen. Die Straßensperren der Militärs wurden längst nicht alle aufgehoben, einige wurden mittlerweile sogar erneut installiert. So bemängeln die indigenen Gemeinden, bisher nichts von dem angekündigtem Rückzug der Armee zu verspüren. Von den sieben Camps, die laut der Forderungen der Zapatisten völlig aufgelöst werden sollen, bestehen fünf in voller Stärke und mitten in zapatistischen Dörfern weiter. In Guadalupe Tepeyac steht die Straßensperre der Militärs immer noch. Das Dorf gleicht einem Heerlager, die etwa 3.000 Einwohner flohen vor einer Militäroffensive am 10. Februar 1995 in die Berge und konnten seitdem nicht zurückkehren. Von hier aus machen sich weiterhin immer wieder Gruppen von Soldaten auf den Weg in den angrenzenden Urwald, um dort Zapatisten, oder wen sie dafür halten, zu suchen. Insgesamt sind es ohnehin über 260 bestehende Camps, Kontrollpunkte und Militärzonen. Und auch die Paramilitärs, von denen mittlerweile über zehn Gruppierungen unbehelligt oder sogar mit der Unterstützung von Polizei und Militär in Chiapas agieren, blieben bisher ungestört.
Auf Fragen von Journalisten, warum das Militär nicht ganz und unmittelbar aus den betroffenen Gebieten zurückgezogen wird, reagiert Fox ausweichend. Einen Termin für den Rückzug will er nicht nennen und tönt: "Es gefällt uns nicht über Dinge zu reden, wir lassen Taten sprechen". Und die Taten sprechen für sich. Das renommierte Wochenmagazin proceso weist darauf hin, dass die Militarisierung in einigen Gebieten sogar zugenommen habe. So wurden beispielsweise Militärs, die auf Fox Entscheidung hin am 22. Dezember als Geste des Friedens aus Amador Hernández abgezogen wurden, in die Zapatisten-Hochburg San Quintín, im Herzen des Lakandonischen Urwalds, verlegt, wo ohnehin schon nahezu 1.000 Soldaten des 73. Infanteriebataillons 1.500 Tzeltal-Indianern gegenüberstehen.
Die Gesetzesvorlage zu den indianischen Rechten und der Kultur wiederum wird voraussichtlich erst im Frühjahr nächsten Jahres debattiert werden. Subcomandante Marcos und weitere 22 Comandantes der EZLN wollen sich am 28. Februar persönlich im Kongress in Mexiko Stadt zu der Gesetzesinitiative äußern. Sollte der politische Willen in der Regierung vorhanden sein, die Vorlage in juristische Realität zu verwandeln, so könne dies innerhalb von drei Monaten geschehen. Es stimmt jedoch misstrauisch, dass ausgerechnet Xóchitl Gálvez, die von Fox neu ernannte Verantwortliche des "Präsidentenbüros für die Entwicklung der indigenen Völker" verkündete, der Prozess würde zwei Jahre dauern.
Juan Guerra, ehemaliges Mitglied der Friedenskommission Cocopa, welche die Gesetzesvorlage erarbeitete, warnt ohnehin vor verfrühten Hoffnungen. Fox habe schließlich den Antrag persönlich im Kongress eingereicht und nicht im Namen seiner Partei PAN. Diese wiederum hat seit 1998 einen eigenen Antrag dem Kongress vorgelegt, der weit weniger umfangreiche Rechte vorsieht, als zwischen Regierung und EZLN ausgehandelt wurden. Dieser Antrag wurde bisher nicht zurückgezogen. Fox könnte, so Guerra, seine Hände in Unschuld waschen, sollte der von ihm eingereichte Antrag von der PAN abgelehnt werden und damit die notwendige Mehrheit verfehlen.
Als halbherzig erwies sich bisher auch die vermeintliche Freilassung inhaftierter Zapatisten. In einem Kommuniqué begrüßte die EZLN zwar den Wunsch der neuen chiapanekischen Regierung mit der Freilassung der Gefangenen die Grundlagen für weitere Gespräche schaffen zu wollen, erinnerte aber gleichzeitig daran, dass auch in zwei weiteren Bundesstaaten Zapatisten inhaftiert seien.
EZLN will Ende Februar in Mexiko Stadt verhandeln
Das öffentliche Vorgehen von Präsident Fox entspreche einer neuen Art Aufstandsbekämpfung, erklärt der Politologe und angesehene Spezialist für Militärstrategien Carlos Fazio. In einem geheimen Plan namens "Chiapas 2000" seien auch alle bisherigen Schritte vorab genauestens beschrieben. Es gehe zunächst darum, den Zapatisten auf der Grundlage der "demokratischen Legitimität" die Fahne der Gerechtigkeit aus der Hand zu nehmen. Dazu solle die Regierung als "glaubwürdig" dargestellt werden, als "freundliche, nicht autoritär und offen für Alternativen". Vor allem der Präsident solle als "direkter Faktor des Dialogs" aufgebaut werden, der den Zapatisten die moralische Vertretung der Indianer streitig macht. Anschließend solle Schritt für Schritt das positive Bild der EZLN und Marcos demontiert werden. Dafür solle der "Öffentlichkeit gezeigt werden, wie Marcos sich mit kriminellen Machenschaften persönlich unheimlich bereichert" habe, während die EZLN in den Drogenhandel verstrickt sei. Darauf sollen "taktische chirurgische Eingriffe gegen die Kriminellen" erfolgen. Auf den Vatikan soll eingewirkt werden, damit er progressiven Priester in Chiapas austauscht und die Paramilitärverbände sollen in Verhandlungen mit lokalen Kaziquen in legale Polizeieinheiten verwandelt werden. Bisher entspreche das Vorgehen Fox genau dem Geheimdokument, so Carlos Fazio.
Neue Strategie der counter insurgency
Auch die Hoffnung vieler Mexikaner mit der Wahl Fox' käme es zu einer Stärkung ziviler Instanzen und der Einfluss der Armee würde zurück gedrängt, wurde bereits mit der Amtsübernahme enttäuscht. Entgegen seinen ausdrücklichen Wahlversprechen ernannte der frisch gebackene Präsident einen Militärstaatsanwalt zum Generalstaatsanwalt. Darüber hinaus kündigte er an, den Etat der mexikanischen Streitkräfte um zwölf Prozent zu erhöhen und die 12.400 Mann starke Infanterie der Marine in eine mobile schnelle Eingreiftruppe zu verwandeln. Zielt die Maßnahme auf den verstärkten Einsatz der Armee in anderen konfliktiven Bundesstaaten mit Guerillapräsenz wie Guerrero, Oaxaca oder Tabasco? Fox jedenfalls kündigte bereits an, "mit aller Härte" gegen bewaffnete Gruppen in anderen Bundesstaaten vorgehen zu wollen. Hier setzt der neue Präsident das Spiel der alten PRI-Regierung fort in "gute" und "böse" Guerillas zu unterscheiden, nur hat er in den Augen der Weltöffentlichkeit im Gegensatz zur abgewirtschafteten PRI eine frische demokratische Legitimation. Einer zivilen Lösung sozialer Konflikte ist sein Vorgehen kaum dienlich. Bis zu einem wirklichen Frieden mit Gerechtigkeit in Chiapas, und in anderen Regionen Mexikos, ist der Weg noch weit und ob die neue Regierung unter Vicente Fox ihn wirklich gehen wird, darf angezweifelt werden.