Massaker von Acteal 6 Jahre danach
Drahtzieher ungestraft
Auch sechs Jahre nach dem Massaker an 45 Tzotzil-Indianern durch regierungsnahe Paramilitärs sind die Hintermänner des Blutbades auf freiem Fuß. Am 22. Dezember 1997 hatten Paramilitärs das kleine Bergdorf Acteál im mexikanischen Bundesstaat Chiapas gestürmt und auf grausame Weise 45 Menschen ermordet. Alle Toten gehörten der pazifistischen Gruppe »Sociedad Civil Las Abejas« an. Die bewaffneten Anhänger der damals noch regierenden »Partei der Institutionellen Revolution« kamen gegen elf Uhr vormittags. Die Bewohner teilten in einer kleinen Holzkapelle gerade Kleidung vom Roten Kreuz auf ? einige der religiösen »Abejas«-Mitglieder beteten ?, als auf die kleine Kapelle ein Kugelhagel niederging.
Auch Tage später waren die Spuren noch gut zu erkennen: Berge von Kleidung lagen auf dem Boden der Kapelle herum, aus der die Menschen in Panik geflohen waren. In Holzplanken des Gebäudes und in Baumstämme hatten die Kugeln deutlich sichtbare Löcher gerissen. Militär und Polizei, die den Ort drei Tage lang besetzt und abgeriegelt hielten, hatten sich darauf beschränkt, die größten Blutspuren zu entfernen. In einer Mulde am Hang aber, in der einige Menschen Zuflucht gesucht hatten, lag noch blutgetränkte Kleidung. Hier, so berichtete ein Mann, habe er in der Nacht auf den 23. Dezember gut dreißig Tote gefunden. Es seien meist Frauen- und Kinderleichen gewesen, die kreuz und quer übereinander lagen.
Die Polizei kam erst vier Stunden nach dem Blutbad ins Dorf. Das späte Eintreffen war vor allem unverständlich, da sie mit Fahrzeugen und Einsatzkräften nur 200 Meter von der kleinen Kirche entfernt auf einer Anhöhe gewartet hatte. Da die Angreifer aus den Nachbargemeinden rekrutiert worden waren, konnten Aktivisten aus den Basisgemeinden der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee (EZLN) schon zwei Tage später eine Namensliste mit 140 Männern vorlegen, die an dem Massaker beteiligt gewesen sein sollen. Trotzdem wurden in den vergangenen Jahren nur 88 Zivilisten und 14 Examtsträger, meist Polizisten, verhaftet. 24 Zivilisten, darunter auch der ehemalige PRI-Bürgermeister der Bezirkshauptstadt Chenalhó, wurden zu Haftstrafen von bis zu 36 Jahren verurteilt. Andere wurden freigesprochen, weitere warten noch auf ihr Urteil. Außer zwei flüchtigen Polizeichefs sind alle anderen Beschuldigten aber »kleine Fische«. Die wahren Hintermänner des Massakers, die in den höchsten Sphären des Militärs, der mexikanischen Zentralregierung und der Regionalregierung in Chiapas zu suchen sind, bleiben unberührt. Den Hinterbliebenen wurde bisher in keinem der Verfahren eine Entschädigung zugestanden.
Der Aufbau paramilitärischer Gruppen ist seit 1994 Bestandteil einer klar definierten Strategie der mexikanischen Armee zur Aufstandsbekämpfung. Diese wurde unter General José Rubén Rivas Pena ausgearbeitet, der sein Handwerk an der berüchtigten »School of the Americas« in Fort Benning/Georgia (USA) lernte. Sein erklärtes Ziel war die »Zerstörung der politisch-militärischen Struktur der EZLN«. Neben militärischen, psychologischen und zivilen Operationen ist in der Strategie explizit der Aufbau von paramilitärischen Gruppen vorgesehen. Ziel dabei ist, die Guerilla von ihrer Basis zu trennen und die Opposition einzuschüchtern. Die Armee soll indes als neutrale Instanz präsentiert werden, die beide »Extreme« ? Paramilitärs und Guerilla ? bekämpft.
Nach dem Massaker von Acteál reisten zahlreiche Delegationen internationaler Menschenrechtsbeobachter nach Chiapas. Bei der damaligen PRI-Regierung stieß das ebensowenig auf Wohlwollen wie bei der jetzt amtierenden Bundesregierung von Vicente Fox. Beide legten den Beobachtern Steine in den Weg, etliche Beobachter wurden in den vergangenen Jahren aus Mexiko ausgewiesen. Massaker wie das von Acteál blieben seitdem aber aus. Der paramilitärische Terror durch einzelne Überfälle, Vertreibungen und Raub geht indes weiter. Menschenrechtsgruppen schätzen, daß in der Region heute mehr als zehn bekannte Paramilitärgruppen ungestört agieren. Die Verantwortung dafür liege klar bei der Zentralregierung, erklärt auch Edgar Cortéz vom Menschenrechtszentrum Miguel Augustín Pro in Mexiko-Stadt.
Paramilitärische Aktivitäten, sagt er, blieben nicht auf Chiapas beschränkt. Ähnlich gingen auch in Guerrero, Oaxaca, Michoacan, Veracruz und anderen Bundesstaaten bewaffnete Gruppen gegen die Bevölkerung vor. In Guerrero seien in den letzten Jahren mehrere hundert Menschen von Militärs und Paramilitärs umgebracht worden. Hier war bereits Ende der sechziger Jahre eine lokale Guerilla entstanden.