Zum Jahresanfang fanden auf der ganzen Welt Feiern zum zehnjährigen Jubiläum des zapatistischen Aufstandes in Chiapas statt
«Nur im Widerstand und der Rebellion...»
In der Schweiz bildete ein Fest im neu eröffneten Zürcher Infoladen Kasama (Militärstrasse 87a) den Höhepunkt der vielbesuchten Veranstaltungsreihe «Von Chiapas nach Davos». Hintergründe zum runden Geburtstag.
Die Feiern zum zehnten Jahrestag des zapatistischen Aufstandes im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas verliefen eher bescheiden. Einige hundert Delegierte aus den zapatistischen Dorfgemeinschaften und internationale Unterstützerinnen und Unterstützer nahmen an ihnen Teil. In der weltweiten Presse fand das Ereignis eher wenig Resonanz. Das war vor zehn Jahren noch anders.
Als Kämpfer und Kämpferinnen der bis dato unbekannten EZLN (Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung) in der Nacht auf den ersten Januar 1994 in Chiapas mehrere Bezirkshauptstädte und das regionale Zentrum San Cristobal militärisch besetzten, war ihnen die Aufmerksamkeit der gesamten westlichen Welt sicher. Der Aufstand erntete viel Sympathie. Jenseits von seiner lokalen und nationalen Bedeutung fand er zu einem Zeitpunkt statt, an dem der Siegeszug des Kapitalismus allen Ortes gefeiert wurde, es schien keine Alternative mehr zum neoliberalen Wirtschaftsmodell, zum angeblich alles regulierenden Markt zu geben. Die FSLN in Nicaragua war 1990 abgewählt worden, der mexikanische Politologe und spätere Außenminister Jorge Castañeda hatte das Ende der revolutionären und bewaffneten Linken proklamiert und die lateinamerikanische Linke bewegte sich zunehmend auf sozialdemokratische Politikmodelle zu. Und plötzlich ein bewaffneter indianischer Aufstand mit einer breiten Basis. Die zentrale Botschaft lautete: Rebellion ist gerechtfertigt und möglich.
Die Indígenas, auch von der lateinamerikanischen Linken mehr als Objekt paternalistischer Entwicklungskonzepte denn als handelndes Subjekt behandelt, übernahmen plötzlich eine «führende» Rolle in der Neudefinition linker Politik. Zugleich wurden auch traditionelle Strukturen in Frage gestellt, wie etwa an den 1993 verabschiedeten, in den zapatistischen Gemeinden gültigen, «revolutionären Frauengesetzen » deutlich wurde. In ihnen legten die Frauen selbst Rechte fest, wie die freie Wahl des Ehepartners, Beteiligung an der Guerilla und die Möglichkeit, über Kinderzahl und Reisen selbst zu entscheiden.
Geburtshilfe zur Bewegung weltweit
Der Aufstand löste in Mexiko einen beeindruckenden Politisierungsschub und international einen Bewusstseinssprung aus. So gelten die Zapatistas mit ihrem Diskurs und der Einberufung «intergalaktischer Treffen» auch als GeburtshelferInnen für die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung. Mit der Einberufung eines ersten «intergalaktischen Treffens» im chiapanekischen Urwald im Jahr 1996 und dem Aufruf zu und der Verwirklichung von kontinentalen Treffen im Jahr 1997, die schließlich in einem weiteren «intergalaktischen Treffen» im spanischen Staat im gleichen Jahr mündeten, begann sich ein breites Spektrum emanzipatorischer und linker sozialen Bewegungen als «Antiglobalisierungsbewegung» zu konstituieren. Eigentlich ein von vorneherein falscher Begriff, da die Konstituierung in der «Globalisierung von unten » begründet liegt. In Anlehnung an den Zapatistischen Diskurs kam es Anfang 1998 auch zur Gründung von Peoples Global Action (PGA) als einem weltumspannenden Ansatz zur Vernetzung von Basisorganisationen.
Die EZLN zeigte eine bewundernswerte Kommunikationsfähigkeit. Sie benutzte nicht die hölzerne Sprache der politischen Kommuniqués der 70er Jahre, sondern eine frische, die viel mit Bildern und Geschichten arbeitet. Dies hat der EZLN zwar den Vorwurf eingebracht, man gewinne keinen Krieg mit Gedichten, doch haben die Zapatistinnen und Zapatisten ihren Kampf und ihre Politik mit der von ihnen verwendeten Sprache vielen Menschen nahe bringen können und zugleich in entscheidenden Momenten auch immer klare Worte gefunden. Doch sei nachdrücklich davor gewarnt, die Zapatistas rein auf der Ebene des Diskurses zu analysieren. Die Grundlage des Konflikts ist eine materielle. Es ist klar, dass eine in den Weltmarkt integrierte kapitalistische Ökonomie nicht einfach auf die Kontrolle der Naturressourcen im eigenen Staatsterritorium verzichten kann.
Ihre poetische Sprache, der Humor und Charme des charismatischen Subcomandante Marcos, die Nutzung des Internet und der bis heute geltende Waffenstillstand nach nur zwölf Tagen bewaffneten Auseinandersetzungen machten die Zapatistas schnell bekannt und beliebt. Im Gegensatz zu anderen bewaffneten Gruppierungen wurden sie von den Medien und der Politik als «gute Guerilla» dargestellt, die man gern haben muss. Sie wurden von internationalen Persönlichkeiten hofiert. Am Publicity-Erfolg der EZLN wollten in Mexiko viele teilhaben, allen voran die linksliberale Oppositionspartei PRD.
Breite Basis ohne Nachrichtenwert
Die Massenmobilisierung der mexikanischen Zivilgesellschaft konnte 1994 und1995 einen Bürgerkrieg im größeren Umfang vermeiden. Die EZLN und die mexikanische Regierung verhandelten, doch das Resultat war enttäuschend. Es kam zwar zur Unterzeichnung des «Abkommen von San Andrés», in dem sich EZLN und Regierung auf Grundlagen «indigener Rechte und Kultur» einigten. Die Regierung setzte das Abkommen jedoch nie um und verabschiedete 2001, nach einem wochenlangen Marsch Tausender Zapatistas nach Mexiko-Stadt, sogar eine Gesetzgebung, die dem Abkommen widersprach. Während Präsident Fox den Zapatista-Marsch in die Hauptstadt nutzte, um der Welt ein demokratischpluralistisches Mexiko zu präsentieren, fand sich in der internationalen Presse kaum ein Wort über die Hintergründe. Die Mobilisierung gegen das abgefälschte Autonomiegesetz verlief eher dürftig. Das internationale Interesse ließ nach, und es schien als habe die EZLN an Rückhalt verloren.
Tatsächlich sind die Zapatistas aber dabei, den spannendsten all ihrer Schritte zu tun und die Autonomie, die ihnen keine Regierung geben wollte, umzusetzen, und zählen dabei auf eine breite Basis. Doch dieser Prozess verläuft weit weniger spektakulär als noch der bewaffnete Aufstand und besitzt kaum «Nachrichtenwert » für die internationale Presse. Die Entwicklung wird auch wenig von linksliberalen Intellektuellen diskutiert und kommentiert, so wie es noch bei Marcos literarischen Kampferklärungen an Neoliberalismus und Armut der Fall gewesen war. Die meisten von ihnen haben sich mit dem neuen Mexiko arrangiert oder anderen Themen zugewandt. Und die PRD stellt aufgrund ihres Verhaltens immer weniger einen Bündnispartner dar. Mit einer nicht enden wollenden Reihe von Skandalen sowie anti-emanzipatorischen und autoritären politischen Positionen hat sich die PRD selbst ins Abseits gestellt. Angefangen mit der Tatsache, dass die internen Wahlen der als «Anti-Korruptionskraft» auftretenden Partei gefälscht worden waren, über die Politik vom PRD-Bürgermeister López Obrador in Mexiko-Stadt. Im Gegensatz zu Cuauhtémoc Cárdenas und Rosario Robles, die eine gewisse Bewegungsnähe hatten und stark auf Kultur und Bewusstseinsbildung setzten, entpuppte sich López Obrador als Technokrat. Basisorganisationen werden unter ihm zu den laufenden politischen Geschäften kaum noch konsultiert, und er ist de facto eine Investitionszusammenarbeit mit dem mafiösen PRI-istischen Großunternehmer Carlos Slim eingegangen. Hinzu kommt dass sein Vorbild für die Regelung der Öffentlichen Ordnung in der Hauptstadt seit Amtsantritt die reaktionäre «Zero Tolerance-Linie» ist, weswegen er auch schon den New Yorker Ex-Bürgermeister Giuliani zu Konsultationen nach Mexiko Stadt einlud. Einige PRD-Abgeordnete stimmten sogar für das verstümmelte Autonomie-Gesetz, Partei-Vertreter erklärten, es gehe darum, einen öffentlichen Erfolg der Zapatistas zu verhindern und die Bewegung für eigene Parteierfolge zu nutzen. Die Politik des von der PRD mitgetragenen chiapanekischen Gouverneurs Pablo Salazar Mendiguchía ist kaum von jener der vorangehenden Regierungen zu unterscheiden. Die PRD hat zu eigenen Gelegenheiten sogar gegen die EZLN-Basis mobilisiert, Militarisierung und Paramilitarisierung schreiten weiter voran, der Plan Puebla-Panama wird unterstützt, und selbst die Programme der Regionalregierung verfolgen weiterhin die Strategie des «teile und herrsche». Interne KritikerInnen werden durch Sanktionen oder den Parteiausschluss zum Schweigen gebracht.
Aufbau eigener Strukturen
Die EZLN hat indes ihr Hauptaugenmerk während der vergangenen Jahren auf die Festigung und den Ausbau der eigenen Strukturen und der Basisgemeinden gelegt. Das beinhaltet den Aufbau zahlreicher ökonomischer Projekte und Unternehmen, um so eine Überlebensgrundlage für die Dorfgemeinschaften zu schaffen und den erzeugten Mehrwert möglichst in den Gemeinden zu halten und zu reinvestieren. Dazu gehört auch ein Radioprojekt das in mehreren Sprachen etwa zwölf Stunden täglich auf UKW sendet und in Chiapas über 250 000 Menschen erreicht. «Radio Insurgente. Stimme der EZLN» sendet mittlerweile sogar auf Kurzwelle und ist so in ganz Lateinamerika und mit etwas Glück auch in Europa zu empfangen (siehe Kasten). Nachdem vor zwei Jahren tatsächlich rückläufige Tendenzen in der Organisierung zu beobachten waren, hat sich heute das Blatt gewendet. Es schließen sich weitaus mehr Gemeinden und Einzelpersonen als Basis, Milizionäre und Insurgentes (stehende bewaffnete Truppen) der EZLN an, als sie sie verlassen. Vor allem aber drückt sich die Konsolidierung des zapatistischen Projekts im Aufbau eigener Verwaltungsstrukturen aus. Zunächst in den über dreissig lokalen Autonomen Gemeinden und seit August 2003, der «Juntas der guten Regierung», in den fünf übergeordnete Regionalverwaltungen. Von der Schule über Landwirtschaft und Gesundheitswesen wird alles selbst entschieden und organisiert. Eine eigene Rechtsprechung und Verwaltung wurden eingesetzt. Damit besteht auf einem Viertel des chiapanekischen Territoriums de facto eine Regierung, die von der offiziellen mexikanischen Regierung losgelöst ist. In einem Kommuniqué, das von einem mit schwarzer Sturmhaube vermummten Vertreter der EZLN anlässlich der Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag des Aufstandes verlesen wurde, hieß es: «Nur im Widerstand und der Rebellion können wir unsere Autonomie als indigene Völker aufbauen, denn wir warten nicht darauf, dass uns die schlechten Regierungen die Erlaubnis geben, damit die Indígenas in Freiheit und Autonomie leben können.»