Nicaragua: Ein Großteil der Parteibasis der Sandinisten fordert einen eindeutigeren Oppositionskurs
Kooperation mit Präsidentin Chamorro spaltet die FSLN
In Nikaragua hat sich die innenpolitische Situation angesichts von Wirtschaftskrise, Massenverelendung und Zunahme bewaffneter Auseinandersetzungen in jüngster Zeit weiter zugespitzt. Auch in der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) gehen die Meinungen über den Umgang mit der sozialen Krise auseinander. Einig ist man sich nur darüber, daß die konservative Regierung der Nationalen Oppositionsunion (UNO) die Verantwortung für die Mißstände trägt. Doch während die FSLN-Parlamentsfraktion, eine Bastion der Partei-Rechten, Präsidentin Violeta Chamorro unterstützt, um einen größeren Einfluß der extremen Rechten auf die nationale Politik zu verhindern, plädiert ein Großteil der Parteibasis für einen eindeutigeren Oppositionskurs.
So forderten kürzlich 29 prominente Sandinisten vom Mittelbau der Parteieine klare Distanzierung von der Regierung und mehr Engagement für die armen Bevölkerungsschichten. Unterzeichnet hatten den Aufruf u. a die Gewerkschaftsführer Lucío Jiménez und Lily Soto, Kader der Atlantikküste wie Mirna Cunningham sowie der Direktor des Fernsehsenders Kanal 4, Julio Marenco. "Sozialdemokratische" FSLN-Repräsentanten nannten diese kurzerhand "Extremisten". Doch das Herz sandinistischer Teile der Bevölkerung schlägt wohl eher für die Geschmähten.
So dürfte sich auch kaum jemand an der Basis für Armeechef Humberto Ortega einsetzen, sollte dieser tatsächlich 1994 abgesetzt werden. Seit drei Jahren versucht sich der einstige Chef des sandinistischen Volksheeres als Mann der Mitte, sprich als Garant von Frieden und Verfassung, zu präsentieren. Doch die Rechten fordern weiter seine Absetzung, die USA behalten gar wegen Ortega über 100 Millionen Dollar Wirtschaftshilfe zurück. Nur die FSLN-Spitze steht uneingeschränkt zu ihm.
Der Militärchef ist auch verantwortlich für das Massaker der Armee an Recompas, entlassenen Soldaten des sandinistischen Heeres, die Mitte Juli die Stadt Esteli im Norden Nikaraguas unter ihre Gewalt gebracht hatten: 45 tote Guerilleros waren das Ergebnis des von Ortega befohlenen Militäreinsatzes, bei dem die Bewohner der FSLN-regierten Stadt teilweise die Rebellen unterstützten. Nach der Aktion gingen empörte Leserbriefe und Anrufe bei den sandinistischen Medien ein, während die Parteiführung die Recompas als Banditen hinzustellen versuchte.
Wie tief die Risse in der FSLN sind, zeigte sich auch während der jüngsten Streikwelle. Was als Protest von Transportarbeitern gegen eine neue Kfz-Steuer begann, weitete sich schnell zum nationalen Ausstand aus, der auch fortgesetzt wurde, als die Regierung die umstrittene Steuer wieder zurückzog. Als die Polizei mit äußerster Brutalität gegen die Streikenden vorging, kamen zwei Menschen zu Tode, eine Demonstrantin und ein Polizeieinsatzleiter. Letzterer übrigens ein angesehener Ex-Comandante war im Begriff, seine Einheiten zurückzuziehen, da er nicht weiter gegen die Streikenden vorgehen wollte. Wegen der Todesschüsse auf ihn wird gegen neun Mitglieder des sandinistischen Jugendverbandes ermittelt.