Die Indianerin MARLEN CHOW über die andere "Kolumbus-Ehrung"
Der Generalstreik zum Feiertag
Die Miskito-Indianerin MARLEN CHOW ist Koordinatorin der Kampagne „500 Jahre indianischer, schwarzer und Volkswiderstand“ in Nikaragua sowie Mitarbeiterin in der kontinentalen Koordination. DARIO AZZELLINI sprach mit ihr für ND.
Welches sind die wichtigsten Ziele der Kampagne?
Wir wollen in Diskussionen und Aktionen unseren Kampf für eine gerechte Wirtschafts- und Sozialordnung auf dem Kontinent darstellen. Wir fordern ein Demokratie-Konzept, dass vom Willen der Völker ausgeht, von den Gefühlen und Kriterien der indigenen, schwarzen und anderen Bevölkerungsgruppen. Wir versuchen, die Bedeutung einer Verweigerung der Rückzahlung von Auslandsschulden, die wir als Folge von fünf Jahrhunderten kolonialer und neokolonialer Herrschaft ansehen, klarzumachen. Es geht uns aber auch um die Bedeutung der Natur für die hier lebenden Menschen. Wichtiger Teil in der Kampagne ist schließlich die Agrarreform und der Respekt vor dem Gemeindeland, das die autochtonen Dorfgemeinschaften des Kontinents besitzen. Wir sind ja in der Mehrheit Landarbeiter.
Wie tragen Sie denn zu den „Kolumbus-Feierlichkeiten“ in diesem Jahr bei?
Wir haben zu Demonstrationen aufgerufen, Landbesetzungen organisiert, für die Rechte der indigenen Völker und die juristische Verankerung dieser Rechte gekämpft, die Organisierung der schwarzen Bevölkerung des Kontinents vorangetrieben und zur Situation der Frau sowie der Jugend gearbeitet. Das war natürlich in jedem Land abhängig von der jeweiligen Stärke der Kampagne. Insgesamt ist das eine Arbeit, die wir mit sehr viel Geduld machen müssen, wir wollen ja auch ein Forum der Reflexion bilden. Höhepunkt unserer Aktionen sollen im Oktober ein drittes kontinentales Treffen in Managua und ein Streik auf dem ganzen Kontinent am 12. Oktober sein.
An diesem Tag soll der Papst die neue Kathedrale Managuas einweihen...
Ja, das haben die konservativsten Ausbeuter Nikaraguas organisiert, Kreise, die auch eine Evangelisierung vorantreiben, die unser Volk ideologisiert hat in Richtung eines Christentums der Opfer und der Leiden, die man nur abstreift, wenn man alle Leiden auf sich nimmt, stirbt und in den Himmel kommt. Wir sehen in Nikaragua keine feierliche Stimmung, die Bevölkerung lehnt diesen Feiertag ab. Dabei hat die Regierung gerade in diesem Jahr großen Druck ausgeübt, besonders auf das Erziehungsministerium. Für uns stellt schon der Bau der Kathedrale angesichts der sozialen Situation eine Beleidigung dar – 60prozentige Arbeitslosigkeit, Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung und des Schulsystems, die Cholera ist auf dem Vormarsch. Der Papst sollte dieses Datum zum Anlass nehmen, sich unsere Standpunkte zur Evangelisierung anzuhören und endlich die Theologie der Befreiung anerkennen. Er sollte die Verfolgung der Priester und Bischöfe, die sich zu ihr bekennen, beenden, denn diese lateinamerikanische religiöse Erfahrung wird von Tausenden als ganz nah an der Realität und den Problemen des Kontinents gelebt.
In Nikaragua ist die Autonomie der Atlantikküste ein Schwerpunkt der Kampagne. Warum?
Damit verbindet sich eine Hoffnung für die gesamte Urbevölkerung des Kontinents. Wichtig ist die Verankerung der Autonomie in der Verfassung und die rechtliche Anerkennung der Territorien, der zweisprachigen Erziehung, eigener politischer, ökonomischer und sozialer Vorstellungen. Autonomie bedeutet nicht, dass die indianischen Dorfgemeinschaften allein gelassen werden mit einem Stückchen Land und ihrer Sprache, sie brauchen Kontakte für den Aufbau politischer, ökonomischer und sozialer Perspektiven. Wir wollen ja nicht zum Stand vor 1492 zurückkehren, uns geht es darum, dass die indigenen Gemeinschaften mit ihrer Identität und Kultur im Jahr 1992 anerkannt werden.