Nikaragua: Forderungen nach Durchsetzung der Autonomie für Atlantikregionen
"...sonst verlangen unsere Kinder Unabhängigkeit"
Die Regionen an Nikaraguas Atlantikküste werden im Unterschied zu den Gebieten am Pazifik, wo die spanischsprachige Bevölkerungsmehrheit des Landes lebt, von Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen bewohnt: Mestizen, Miskitos, Sumus, Ramas, Creoles (die ein kreolisches Englisch sprechen) und Garífunas. Die MADA (Breite Bewegung zur Verteidigung der Autonomie) setzt sich für deren Selbstbestimmung ein. Mit CYRIL OMEIR, Koordinator für den Süden, sprach DARIO AZZELLINI.
Wie steht es um die Autonomie der Atlantikregionen?
Besorgniserregend! Die Regierung in Managua lässt keinen Zweifel an ihrer ablehnenden Haltung zur Autonomie, deren Erlangung viel Kraft gekostet hat und Ursache vieler Kämpfe war. Sie hat z.B. ein den Regionalräten übergeordnetes Institut geschaffen, stellt zu wenig finanzielle Mittel bereit, äßt es an Unterstützung für das Programm zur zweisprachigen Erziehung fehlen und tut nichts gegen die 90prozentige Arbeitslosigkeit, die an der Atlantikküste herrscht.
Deshalb bildete sich die im November 1991 die MADA. Wen repräsentiert sie, mit welchem Ziel?
Unsere Bewegung will die Bevölkerung zum Kampf für die Verteidigung der Autonomie vereinen. Wir wollen, dass das Autonomiegesetz von 1987 respektiert und praktiziert wird. Denn nur durch autonome Verwaltung können sich die Atlantikregionen entwickeln. Keine der bisherigen Zentralregierungen hat daran Interesse gezeigt.
Zur MADA gehören Sandinisten, Vertreter der ehemals sandinistenfeindlichen Miskito-Organisation YATAMA, einige wenige von der Regierungspartei U.N.O., Ex-Contras wie Steadman Fagoth und Unabhängige wie ich.
Gibt es da keine Probleme in der Zusammenarbeit?
Nein, wir sind ein gutes Team, das wirksam arbeitet, wie unser Sieg in der Taiwan-Sache zeigt. Die Zentralregierung hatte einem Unternehmen aus Taiwan die Rodung eines riesigen Urwaldgebietes zugestanden, musste den Vertrag aber annullieren – wegen des Drucks, den unsere Bewegung gemeinsam mit Organisationen vom Pazifik und mit internationaler Unterstützung ausübte. MADA stellt das Interesse der gesamten Region über politische, religiöse und ethnische Einzelinteressen.
Können Sie dieses Anliegen auch der Bevölkerung vermitteln?
Es ist natürlich schwierig, den Leuten etwas von Autonomie zu erzählen, wenn sie unter Arbeitslosigkeit, Elend und Hunger leiden. Während der Regierungszeit der Sandinisten gab es zwar eine Kampagne zur Aufklärung über Autonomie, aber der Krieg brachte so viele Probleme, dass die Bevölkerung wenig Interesse zeigte. Wir müssen erst existentielle Fragen der Dorfgemeinschaften lösen, bevor wir Seminare oder Arbeitsgruppen zur Autonomie aufbauen.
Anfang Mai wurde der Ratsvorsitzende der Autonomen Atlantikregion Süd (RAAS) Alvin Guthrie, Abgeordneter der in Managua regierenden U.N.O., überrraschend abgewählt. Ein Büdnis aus FSLN und YATAMA wählte den Sandinisten Ray Hooker zum neuen Vorsitzenden. Guthrie weigerte sich jedoch die Regierungsgeschäfte zu übergeben. Wie hat sich die Situation entwickelt?
Guthrie war zwei Jahre lang Gouverneur, aber nicht einmal hat er die Dorfgemeinschaften besucht. Die Leute dort verlangten von ihren Repräsentanten einen Wechsel und so kam es zur Allianz zwischen FSLN und YATAMA. Im Moment ist die Sache in den Händen des Obersten Gerichtshofes. Wir sind optimistisch und überzeugt, dass wir mit Ray Hooker gute Arbeit in der Region leisten können. Er ist ein ehrlicher, fähiger Mann.
Wird die Atlantikküste ihre Autonomie verwirklichen? Welche Bedeutung hätte das für andere autochtone Völker Lateinamerikas?
MADA kämpft für Regionalwahlen 1994. Dadurch würden fähige Personen in die Regionalräte kommen, die mehr von der Zentralregierung verlangen und an der Konsolidierung der Autonomie arbeiten. Die Zentralregierung sollte das verstehen, sonst werden unsere Kinder nicht mehr Autonomie, sondern Unabhängigkeit fordern.
Die Festigung der Autonomie an Nikaraguas Atlantikküste wäre das beste Beispiel für die Völker Lateinamerikas, die ähnliche Probleme haben und unter Regierungen leiden, die ihre historischen Rechte nicht anerkennen wollen. Autonomie ist eine der besten Lösungen für die Verwirklichung der Rechte aller indigenen Völker Lateinamerikas.