NIKARAGUA: Sandinistische Abgeordnete stimmten mit der Regierung für Reformpaket
Sergio Ramirez schmiegt sich an die UNO
Vor wenigen Tagen wurde im Parlament Nikaraguas ein umfangreiches Reformpaket verabschiedet. Dafür stimmten neben der moderaten Mehrheit der regierenden Nationalen Oppositionsunion (UNO) auch zahlreiche sandinistische Abgeordnete. Der Gesetzesentwurf zur Privatisierung von Staatsbetrieben wurde von Sergio Ramirez vorgelegt, dem Fraktionsführer der Sandinistischen Front zur nationalen Befreiung (FSLN) in der nikaraguanischen Nationalversammlung.
Ramirez wird deswegen von den sandinistischen Gewerkschaften scharf kritisiert, da sich sein Entwurf nicht grundsätzlich gegen Privatisierungen stellt. Sie befürchten, daß das neue Gesetz die Privatisierung der Energie-, Wasser- und Telefondienste einleiten könnte. Auch FSLN-Chef Daniel Ortega hatte vor der Abstimmung von Ramirez gefordert, den Entwurf zurückzuziehen, gegen den dann Teile der sandinistischen Fraktion stimmten.
Da das angenommene Reformpaket die Regelung enthält, daß der Staatspräsident künftig kein zweites Mal für dieses Amt kandidieren darf, wurde Ramirez vorgeworfen, seine eigene Kandidatur vorzubereiten, indem er seinen prominentesten Gegner, Ex-Staatschef Ortega, ausgebootet habe. In den zwei beliebtesten Radiosendern des Landes beide stehen den Sandinisten nahe wurden Ramirez sogar Konspiration und Verrat vorgeworfen.
Die jetzt offen zu Tage getretene Existenz mehrerer Linien innerhalb der FSLN ist schon seit längerem erkennbar. Zu den einflußreichsten gehören die um Daniel Ortega, der in den Gewerkschaften stärkeren Rückhalt findet, sowie die um den ehemaligen Vizepräsidenten Ramirez, dem sozialdemokratische Tendenzen nachgesagt werden.
Sergio Ramirez, der nicht in der Guerilla kämpfte, sondern nach dem Sieg der Revolution 1979 in die Regierungsjunta geholt wurde, vertritt eine Öffnung der Partei und die "Abkehr von alten Dogmen". Was die Kritik an den hierarchischen Strukturen und am Mangel von Diskussionen innerhalb der Partei betrifft, unterstützen auch viele Sandinisten des linken Flügels diese Ansichten. Doch Ramirez will zudem eine "Flexibilität" in ökonomischen Fragen und eine größere Kooperation mit den moderaten Teilen der UNO. Schließlich sucht er ein "neues Verhältnis zu den USA".
Der Flügel um Daniel Ortega, so wie andere Linke, wollen hingegen an sozialistischen und antiimperialistischen Prinzipien festhalten. Sie können dabei auf die sich zunehmend radikalisierende Parteibasis zählen. Dort drängen viele auf klarere Stellungnahmen der FSLN, denn diese mache sich sonst unglaubwürdig. Die über 60 Prozent Arbeitslosen, die hungernde Landbevölkerung und die kämpfenden Arbeiter und Arbeiterinnen sind der FSLN in Wort und Tat meist einen Schritt voraus.
Aktuelles Beispiel: Seit einigen Wochen spitzt sich ein Transportarbeiterstreik gegen Benzinpreiserhöhungen zu seit 1. Januar ist der Treibstoffpreis in Nikaragua der höchste Mittelamerikas. Bei Protestaktionen gab es bereits mehr als 300 Festnahmen durch die Polizei. Schon 1993 hatte ein Ausstand der Transportarbeiter zu Auseinandersetzungen
mit mehreren Todesopfern geführt. Die Vorwürfe enttäuschter Sandinisten, die FSLN handle nicht konsequent genug, sind jetzt häufiger als im Vorjahr zu hören.