Venezuela im Umbruch: TVe - ein Gemeindefernsehen für den Westen der Hauptstadt. Notizen von der jW-Leserreise
"Schau kein Fernsehen, mach es!"
"Wir berichten nicht über den Transformationsprozeß in Venezuela, wir sind Teil davon", erklärt Marylin Chung, eine der 30 festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Basisfernsehsenders Catia TVe der Reisegruppe aus Deutschland, die im TV-eigenen Kinosaal vor ihr sitzt. Jeden Tag sendet Catia TVe, benannt nach dem ebenso großen wie armen Bezirk Catia im Westen von Caracas, von 14 bis bis 23 Uhr. "Schau kein Fernsehen, mach es!" verkünden Plakate des Senders. Und so sieht auch die Programmstruktur aus. "70 Prozent der Sendungen werden von der Basis produziert und nur 30 Prozent von den etwa 30 festen Mitarbeitern des TV-Kanals." Damit das so ist, hat Catia TVe die "ocpais" entwickelt, "Gemeindeteams für unabhängige audiovisuelle Produktion", Gruppen, die aus fünf Personen bestehen und Programme produzieren. Sie haben beim Sender in Workshops alles notwendige gelernt und arbeiten ohne Aufgabenteilung. Jeder lernt sämtliche Produktionsschritte.
"Mittlerweile gibt es 30 ocpais", berichtet Jaime Fleitas, der als fester Mitarbeiter im Sender für den Bereich Produktion zuständig ist. "Es geht hier um Kommunikation für die Befreiung des Menschen, und daher lernen wir für die Befreiung. Das heißt, ein Schwerpunkt für uns liegt auch darin, Organisationsprozesse anzuschieben", so Jaime, einer der wenigen Männer im Sender.
Im Kinosaal riecht es noch nach feuchtem Mörtel, der Weg dorthin führt über eine Baustelle. Überall wird noch gebaut, während in einigen Räumen Sendungen produziert werden. Früher befanden sich die Räume von Catia TVe im obersten Stockwerk eines Krankenhauses im Stadtteil Lidice. Aus den ehemals leerstehenden Räumen sendete das Fernsehen bis zum Juli 2003, als die Stadtverwaltung des oppositionellen Oberbürgermeisters von Caracas, Alfredo Peña, Catia TVe überraschend räumen ließ. "Das hatte letztlich seine guten und schlechten Seiten", so Marylin Chung, "wir erfuhren unheimlich viel Solidarität und Unterstützung auf nationaler wie internationaler Ebene. Schließlich gab uns das Innen- und Justizministerium ein neues Gebäude." Das leerstehende Haus war in einem erbärmlichen Zustand, aber es wurde Catia TVe überschrieben, so daß nun keine Räumung mehr zu befürchten ist.
Die Ursprünge von Catia TVe liegen 13 Jahre zurück. 1991 gründeten einige Jugendliche im Stadtteil Manicomio von Caracas einen kleinen Kinoclub, um Filme im Viertel zu zeigen. Drei Jahre später entstand im gleichen Kreis das Projekt eines Stadtteilfernsehen. Viele erklärten die Jugendlichen für verrückt, ein solchen Vorhaben erschien als eine Traumvorstellung. Die Aktivisten begannen, mit spärlichen Mitteln Videos zu produzieren und in Workshops das Wissen über die Produktion von Sendungen an interessierte Personen im Stadtviertel weiterzugeben. Mit der neuen Verfassung von 1999 und dem Mediengesetz von 2001 wurden schließlich die Grundlagen für das Gemeindefernsehen gelegt. Noch im gleichen Jahr bekam Catia TVe eine Lizenz und ging auf Sendung.
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