Zeitgewinn oder Falle für die Regierung?
Venezuela: Referendum gegen Chávez
Am 15.August wird in Venezuela das Referendum zur Amtsenthebung Hugo Chávez‘ stattfinden. Die Opposition konnte nach Angaben des Nationalen Wahlrats (CNE) mehr als 550000 der über eine Million Unterschriften, für die der CNE eine erneute Überprüfung angeordnet hatte, bestätigen. So wurde mit insgesamt etwa 2,55 Millionen Unterschriften das in der Verfassung festgelegte Quorum von 20% der Wahlberechtigten, die für die Abhaltung eines Referendums unterschreiben müssen, knapp überschritten.
Der oppositionelle Gouverneur Enrique Mendoza erklärte, dies sei »ein Sieg der Einheit«, die auch zum Sieg im Referendum führen werde. Präsident Chávez interpretierte das Ergebnis hingegen in einen »Sieg für die Verfassung« um. Das Referendum sei schließlich ein Kind des Prozesses, um »einem neuen demokratischen Modell in Venezuela eine Form zu geben«.
Chávez zeigte sich sicher: »Ich habe gesehen wie einige Sektoren der Opposition bereits ihren Sieg feiern … Ich habe nicht die mindeste Angst vor einer Niederlage. Ich habe ja bisher nicht einmal gespielt, das Spiel beginnt jetzt erst. Irren Sie sich nicht meine Herren von der Opposition, bisher haben Sie fast alleine gespielt. Mögen Sie nun für immer die Staatsstreiche, Ausschreitungen, Paramilitärimporte, Bomben in Botschaften und Erdölsabotagen vergessen und mit Glauben und Optimismus den Weg dieser neuen Demokratie gehen, aber es ist nicht gut, frühzeitig Siege zu feiern.«
Im Referendum muss die Opposition aber nicht nur eine Mehrheit für Chávez‘ Amtsenthebung zusammenbekommen, sondern auch mehr Stimmen gegen ihn vereinen als die 3,75 Millionen, die er bei seiner Wahl zum Präsidenten erhalten hatte.
Während in einigen wohlhabenden Stadtvierteln von Caracas Oppositionsanhänger ihren Sieg feierten, kam es in Zentrum der Hauptstadt und in anderen Städten zu Protesten von Regierungsanhängern, die Opposition habe betrogen.
Betrug der Opposition
Tatsächlich konnte die Polizei fast 50 Personen mit gefälschten Personalausweisen oder Unterlagen dingfest machen. Allein im bevölkerungsreichsten Distrikt von Caracas wurden 2376 gefälschte Personalausweise beschlagnahmt und über 300 Verstorbene identifiziert, die auf den Listen auftauchten. In einem Sitz der Ex-Regierungspartei AD wurde eine Fälscherwerkstatt mit Scannern, Farbdruckern und Laminiermaschinen ausgehoben. Ein der Opposition zugeneigtes Mitglied des CNE hielt sogar die Daten von 50000 Verstorbenen zurück, sodass das Wahlregister nicht mehr aktualisiert werden konnte.
Der Abgeordnete der Chávez-Wahlallianz MVR Luis Tascón erklärte bei einem Gespräch in Berlin, die Datenbasis in Venezuela sei so schlecht, dass es sicher zu Betrügereien gekommen sei. Allerdings sei es politisch besser, das Referendum durchzuführen und zu gewinnen, als den Betrug nachzuweisen und die Zahl der Unterschriften knapp unter die notwendige Anzahl zu drücken.
Der Zorn vieler Basisaktivisten richtet sich vor allem gegen das Gremium Comando Ayacucho, das aus Vertretern verschiedener Parteien und Organisationen besteht, die die Regierung Chávez unterstützen und das die Unterschriftensammlung gegen die Opposition organisiert hatte.
Das Gremium hatte in den vergangenen Monaten immer wieder angekündigt, gegen 30 Oppositionsabgeordnete Referenden zu erzielen und 300000 Unterschriften gegen Chávez annullieren zu können. Noch am Montag tönten Repräsentanten des Comando Ayacucho: »Es wird kein Referendum gegen den Präsidenten geben«, und riefen zum Feiern auf. Tatsächlich wurden nur etwa 74000 Unterschriften für ungültig erklärt und ausreichend Unterschriften für nur neun Volksabstimmungen gegen Oppositionsabgeordnete erzielt.
Große Teile der Basis werfen dem Gremium Unfähigkeit vor und fordern den Rücktritt. Chávez entließ das Gremium zwar nicht, verwies es jedoch in die zweite Reihe und erklärte, er werde die Kampagne gegen seine Amtsenthebung persönlich leiten.
›Schlacht von Santa Inés‹
Für die »Schlacht von Santa Inés«, wie das Referendum in Anlehnung an eine siegreiche Schlacht gegen die Truppen der Oligarchie im Befreiungskrieg Venezuelas benannt wurde, verkündete die Regierung, doppelt so viele Stimmen wie die Opposition erzielen zu wollen. In einer breiten Kampagne sollen in den nächsten Wochen Hunderttausende Basisaktivisten ausschwärmen und in der Bevölkerung mobilisieren.
Während die Annahme des Referendums einerseits die Opposition mit ihrem Diskurs über die Chávez-Diktatur entwaffnet hat und andererseits einen Zeitgewinn auf internationaler Bühne für die Chávez-Regierung bedeutet, warnen andererseits viele vor den Fallen, die die Abstimmung in sich birgt. Angefangen von den zu erwartenden massiven Betrugsmanövern bis hin zum der Möglichkeit, dass die Opposition — angesichts des selbst von Ratingagenturen der Wallstreet prophezeiten Sieges Chávez‘ — entweder kurz vor oder nach dem Referendum dieses wegen »nicht vorhandener demokratischer Rahmenbedingungen« nicht anerkennt.
Ein anderes mögliches Szenario liegt in massiven paramilitärischen Aktionen, die das Referendum — wie die Wahl 1990 in Nikaragua — als eine Entscheidung für oder gegen Krieg erscheinen lassen. Erst im Mai waren am Stadtrand von Caracas über 100 kolumbianische Paramilitärs verhaftet worden, die militärische Operationen in Venezuela durchführen sollten.