Sommer oder Herbst eines Patriarchen?

Luis Tascón (Bewegung V Republik*) und Roger Rondón ("Podemos"**), Abgeordnete der Nationalversammlung Venezuelas, über das Prinzip Hoffnung und das Präsidenten-Referendum am 15. August
3.757.773 Venezolaner müssten beim Referendum am 15. August gegen den Präsidenten stimmen, um ihn absetzen zu können. Die Verfassung schreibt vor: Es muss die Zahl an Stimmen erreicht oder übertroffen werden, mit denen Hugo Chávez bei der letzten Präsidentenwahl (Juli 2000) gewählt wurde. Das Regierungslager ist mehrheitlich davon überzeugt, dass die Opposition scheitern wird. Auch wenn viele davor warnen, die fast 2,5 Millionen Stimmen zu unterschätzen, mit denen die Volksabstimmung erzwungen wurde.

FREITAG: Wie beurteilen Sie die Stärke der Opposition sechs Wochen vor dem Referendum?

LUIS TASCON: Die Opposition hat dadurch, dass es diese Abstimmung nun geben wird, an Überzeugungskraft verloren. Schließlich wurde von diversen Regierungen, der internationalen Presse, dem State Department oder auch Politikern in Spanien und Deutschland gebetsmühlenartig wiederholt, Venezuela sei auf dem Weg zu einer Diktatur, Chávez werde niemals ein Referendum akzeptieren, der Nationale Wahlrat sei eine Marionette der Regierung und so weiter. Das ist ad absurdum geführt und als billige Propaganda entlarvt worden. Ich glaube nicht, dass es irgendwo auf der Welt einen Diktator gibt, der einer Volksabstimmung über seine Amtsenthebung zustimmt - Hugo Chávez hat das getan. Ich denke, wir werden die Opposition besiegen.

ROGER RONDON: Selbst einer der scharfzüngigsten Oppositionsführer musste in einem Interview zugeben, dass es Chávez gelungen sei, sich als Sieger der jüngsten Ereignisse hin zu stellen. Die Opposition weiß, wem sie gegenüber steht.

Das Anti-Chávez-Lager hat mit den fast 2,5 Millionen Unterschriften für das Referendum immerhin ein beachtliches Votum zustande gebracht.
ROGER RONDON: Angesichts dessen, dass Tausende gefälschte Personalausweise beschlagnahmt und sogar Fälscherwerkstätten ausgehoben wurden, fällt es schwer zu glauben, dass die Opposition tatsächlich diese Zahl an Unterschriften gesammelt hat - nur 15.000 mehr als notwendig.

Das Comando Ayacucho - auf Seiten der Regierung für die Begleitung dieses Prozesses verantwortlich - wollte nachweisen, dass 300.000 Unterschriften ungültig seien, tatsächlich waren es dann nur 74.000. Was ist da passiert?
LUIS TASCON: Unsere Informationssysteme sind sehr verletzlich und unsere Datenbasis ist sehr dürftig. Wir haben ein Land mit einem armseligen Identifikationssystem geerbt. Es gibt im Melderegister viele Tote die angeblich noch leben, und es gibt in der Realität viele Lebende, die angeblich schon tot sind. Das Wahlregister hat viele Schwächen, die von einem Unternehmen Namens Sumate genutzt wurden, das den Wahlbetrug in Venezuela regelrecht systematisiert hat.

Warum wurde das Ergebnis dann nicht angefochten?


LUIS TASCON: Weil an dieser Stelle die politische Ebene ins Spiel kommt. Wir sind uns sicher, dass wir siegen werden. Also ziehen wir es vor, ein Referendum abzuhalten. Es soll kein Zweifel daran bestehen, dass der venezolanische Prozess demokratisch ist, denn es wurden viele Zweifel laut. Das State Department erklärte sogar, werde das Referendum nicht einberufen, sei damit der Übergang zu einer Diktatur vollzogen.

ROGER RONDON: Und diese These hätte sich im Ausland schnell verbreitet. Insofern war es auch trotz aller Vorbehalte besser, den Nationalen Wahlrat als Schiedsrichters anzuerkennen und die Entscheidung zu akzeptieren.

Große Teile Ihrer Basis sind mit dem Comando Ayacucho unzufrieden und fordern dessen Auflösung. Es wollte angeblich gegen 37 Oppositionsabgeordnete ein Referendum herbeiführen, schaffte es aber gerade einmal bei neun. Dann - nach der Unterschriftensammlung - rief es die Basis zum Feiern auf und erklärte das Referendum für gescheitert.
LUIS TASCON: Das heißt nichts anderes, als dass von der politischen Leitung ganz klar Fehler gemacht wurden, die untersucht werden müssen. Ich weiß nicht, ob es weiterhin ein Comando Ayacucho geben wird, aber Präsident Chávez hat auf jeden Fall die Verantwortung zu fragen, weshalb das Comando dreimal scheitern konnte.

ROGER RONDON: Wenn wir am Comando Ayacucho fest halten - und das sage ich, obwohl der Vorsitzende des Comando Ayacucho der Generalsekretär meiner Partei ist -, wäre das so, als ob wir Lose ziehen, eine Art Lotterie. Dann könnten wir tatsächlich das Referendum am 15. August verlieren. Doch können wir uns keine Fehler erlauben, denn die USA werden sehr viel in dieses Referendum investieren, um Präsident Chávez loszuwerden.

Mit anderen Worten, Sie werden die Kräfte des bolivarianischen Prozesses vor dem Referendum mobilisieren.

ROGER RONDON: Auf jeden Fall. Denn selbst wenn die Opposition ihr Ziel nicht erreicht, weil weniger Personen gegen Chávez stimmen, als die 3,7 Millionen, die bei den letzten Wahlen (s. Übersicht - die Red.) für ihn gestimmt haben, aber dennoch im Referendum weniger für als gegen ihn stimmen, ist das eine politische Niederlage. Wir müssen bei diesem Referendum nicht nur die Opposition besiegen, sondern als Regierungslager mehr Stimmen zusammen bekommen als bei den Wahlen 2000 - statt 3,7 Millionen mindestens vier Millionen, damit deutlich wird: Die Unterstützung für Chávez besteht nicht nur fort, sie ist sogar gewachsen. Das heißt, wir werden nicht allein zum Referendum mobilisieren, sondern zugleich zu den Lokal- und Regionalwahlen, die im September stattfinden. Wir wollen auf lokaler und regionaler Ebene die Kräfteverhältnisse verändern, vor allem in Bundesstaaten wie Zulia, Miranda und Carabobo, die von der Opposition in den vergangenen Jahren als Bastionen gegen uns benutzt wurden.

Was geschieht, wenn Hugo Chávez das Referendum verliert?

LUIS TASCON: Dann wird er bei den gemäß Verfassung innerhalb von 30 Tagen fälligen Neuwahlen wieder kandidieren. Für mich ist höchst zweifelhaft, ob sich die Opposition in diesem Fall auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten verständigen kann.

Warum sind Sie so sicher, dass Chávez erneut antreten wird?

ROGER RONDON: Dass nach dem Referendum so verfahren wird, ist Konsens im Regierungslager. Hugo Chávez wäre im Übrigen auch beim nächsten regulären Wahltermin 2006 der Kandidat für eine erneute Präsidentschaft. Sollte das - aus welchen Gründen auch immer - nicht möglich sein, gibt es genügend andere Politiker und Politikerinnen, die unser Prozess hervor gebracht hat. Es geht nicht um Messianismus. Auch wenn Chávez die unbestrittene Führungsfigur der Bolivarianischen Revolution ist, steht außer Zweifel, dass sie auch ohne ihn fortgesetzt wird.

Das Gespräch führte Dario Azzellini (*) Movimiento V República, Partei des Präsidenten Chávez

(**) Partei gehört zur Regierungskoalition Polo Patriótico