Mehr als kosmetische Veränderungen der Machtstrukturen liegen gewiß nicht im Interesse Washingtons
Kann Aristide die Hoffnungen seiner Landsleute erfüllen?
Haitis gewählter Präsident Aristide hatte lange gezögert, bis er sein zurückhaltendes Einverständnis zum USA-Militäreinsatz äußerte. Auch in der ihn stützenden politischen Bewegung "Lavalas" (Kreolisch für "Erdrutsch") gab es unterschiedliche Meinungen. Doch alle waren sich einig über die Gefahren US-amerikanischer Militärpräsenz.
Die haitianische Linke geht davon aus, daß sich die USA-Truppen lange auf der Insel aufhalten werden und daß ihre vorrangige Aufgabe nicht die "Demokratisierung" des Landes, sondern die Kontrolle der Lavalas-Bewegung und die Verhinderung einer revolutionären Entwicklung sein wird. Ein Anzeichen dafür: Als sich Clintons Sonderbotschafter William Gray für die Abschaffung der haitianischen Armee aussprach, wurde er von seiner Regierung eiligst zurückgepfiffen. Mehr als kosmetische Veränderungen an der Machtstruktur sind offenbar unerwünscht.
Nachdem Washington 1915 die Inselhälfte mit 400 Marines eingenommen hatte, blieben seine Truppen fast 20 Jahre im Land und diktierten Politik und Wirtschaft zu ihren Gunsten. Etwa 500 000 Haitianer, vornehmlich Bauern, flohen in den folgenden Jahren nach Puerto Rico und Kuba, weil sie im Gefolge der Umstrukturierung der Landwirtschaft durch die USA ihre Lebensgrundlage verloren. Die Nordamerikaner bauten einen US-hörigen Militärapparat auf und installierten eine Machtelite, die ihnen auch lange Jahre nach dem Abzug der Truppen treu blieb.
Auch die Diktatur des Duvalier-Clans von 1957 bis 1986 konnte auf die Unterstützung der USA zählen. Selbst Putschistenführer Raoul Cédras "qualifizierte" sich wie die gesamte Militärspitze auf einer US-amerikanischen Militärschule.
Unter Haitianern ist die Rede davon, daß selbst der Putsch 1991 "in der US-Botschaft ausgeheckt und vom Vatikan abgesegnet" worden sei. Tatsächlich gehörten die USA bis zum Sturz Aristides zu den größten Finanziers der ultrarechten Opposition. Aristide selbst galt schließlich in der Bush-Administration als "unzuverlässig und unberechenbar". Für den Fall einer revolutionären Umgestaltung Haitis wähnten die USA wirtschaftliche Interessen in Gefahr.
Das zunächst halbherzig verhängte Wirtschaftsembargo schadete den Mächtigen der Cédras-Diktatur nicht - im Gegenteil, mit Schmuggel und Schwarzhandel füllten die ihre Kassen. Nur die Bevölkerung hungerte. Doch warum fiel Cédras dann in Ungnade? Weil in den Jahren seiner Herrschaft über 3.000 Linke ermordet wurden? Anderswo in Lateinamerika sind die Zustände ähnlich oder noch schlimmer, und dennoch genießt man dort die Unterstützung der USA.
Es war der Flüchtlingsstrom, der Washington aufschreckte. Nach Angaben der "Kommission für Gerechtigkeit und Frieden" der katholischen Kirche waren überdies 300.000 Menschen innerhalb Haitis untergetaucht - und auch sie hätten vielleicht die Flucht versucht.
Die Stimmung auf Haiti war in den letzten Monaten niedergeschlagen. Aristide hatte vielen Menschen Würde und Hoffnung gegeben, doch die meisten hatten kaum die politische Erfahrung, wirkungsvollen Widerstand gegen die Diktatur zu leisten. Sie hofften auf die Rückkehr Aristides, doch ob der nun - ein Präsident von Washingtons Gnaden - ihre Hoffnungen erfüllen kann?
Hochrangige US-Politiker und Wirtschaftsvertreter nannten es schon "inakzeptabel und destabilisierend", als die Aristide-Regierung 1991 eine Erhöhung des Tagesmindestlohnes von 50 Cent auf 2,50 US-Dollar verfügt hatte.