Neoliberale Kriegsordnung
Der Irak-Krieg rief vor einem Jahr weltweit Proteste hervor. Am 15. Februar 2003 gingen auch in der Schweiz Zehntausende auf die Strasse. Die beiden Vorwärts-Autoren Dario Azzellini und Boris Kanzleiter haben in «Das Unternehmen Krieg» einige lesenswerte Beiträge über aktuelle Formen der Kriegsführung gesammelt. Bombardierungen von Bagdad oder Belgrad seien keineswegs «die kurzzeitige Unterbrechung eines imaginierten Friedens durch den Ausnahmezustand Krieg», schreiben die beiden Herausgeber in ihrer Einleitung. Die Übergänge zwischen Krieg und Frieden verwischten immer mehr. Eine neue Kriegsordnung zeichnet sich ab, die die Handschrift «gegenwärtiger Entwicklungstendenzen des Kapitalismus» trägt. Diese Entwicklung erfordere komplexere Antworten als «die Forderung nach dem Ende von Bombardierungen».
Diese «komplexeren Antworten» versuchen die AutorInnen in erster Linie über neun Länderberichte zu finden. Eingeleitet wird der Sammelband durch einen Beitrag von Thomas Seibert zur «barbarisierten Rückseite» des globalen Kapitalismus. Seibert zeichnet den Paradigmenwechsel vom völkerrechtlich regulierten «alten Krieg» zwischen souveränen Nationalstaaten zu den so genannten «neuen Kriegen» nach, die «von unterschiedlichen, oft aber nicht-staatlichen Akteuren ohne rechtliche Kodifizierung geführt werden».
Das können Warlords, Paramilitärs oder Privatarmeen sein. Damit zeichnen sich, so Kanzleiter in «Krieg & Frieden GmbH», «deutliche Tendenzen zu einer Umformierung bei der Aufrechterhaltung von Kontrolle über die Gesellschaft» ab. Die Kriegsführung wird mehr und mehr privatisiert. Deshalb vom «Zerfall von Staatlichkeit» zu sprechen, sei aber falsch. Denn «oft sind es die Staatsapparate selbst, die ihre Gewaltausübung vermarktwirtschaftlichen».
Azzellini unterstreicht Kanzleiters Befund am Beispiel Kolumbien, das seit Jahren ein Labor für privatisierte Kriegsführung darstellt. Neben den 12 000 Paramilitärs, die im Dienst der kolumbianischen Eliten stehen, zählen private Militärunternehmen mittlerweile 160 000 Beschäftigte. In solchen Kriegsökonomien «sind private Militärunternehmen als Kombattanten, Schutztruppen für Konzerne oder Begleitschutz für humanitäre Hilfsorganisationen gefragt», so Kanzleiter. Diese privaten Militärunternehmen sind hauptsächlich am Profit interessiert.
MilitärexpertInnen schätzen den globalen Markt für private Militärunternehmen auf hundert Milliarden Dollar. So gibt es Unternehmen, die selbst bewaffnet kämpfen, solche, die Militärberatung oder Training anbieten, und solche, die Logistik oder technische Unterstützung für reguläre und irreguläre Armeen bereit stellen. VORWÄRTS-Autor Dieter Drüssel widmet sich in seinem Beitrag dem «Branchenführer der privaten Sicherheitsindustrie», dem amerikanischen «Gewaltkonzern» DynCorp, der mit 23 000 Angestellten an 5500 Orten der Welt «gesellschaftliche Kontrolle und Repression als Ware» verkauft.
Dass auch anderenorts ökonomische Interessen bei kriegerischen Auseinandersetzungen eine weit grössere Rolle spielen als beispielsweise «ethnische Differenzen», zeigt Kanzleiter in einem weiteren Beitrag über «Jugoslawiens multiethnische Kriegsgewinnler». Die «paramilitärische Raubökonomie» stelle viele «eingeschliffene Erklärungsversuche» für die kriegerische Zerstörung Jugoslawiens in Frage.
Auch Björn Aust weist in seinem Beitrag über ökonomische Interessen und militärisches Unternehmertum im Kongo «ethnische Feindschaften» als Kriegsgrund zurück. Vielmehr bestimmen «Kriegsökonomien, die eng in den Weltmarkt eingebunden sind und deren Akeure die Bodenschätze des Landes ausbeuten, die rationale Dynamik des Konflikts.» Wegen der lukrativen Ressourcen in Kongo hat der Konflikt eine «win-win-Situation» für alle bewaffneten Gruppen geschaffen. «Der einzige Verlierer in diesem grossen Geschäftsabenteuer ist die kongolesische Bevölkerung », stellt auch die Uno fest.
Auf welch perverse Art Zivilistinnen zur Geisel kriegerischer Auseinandersetzungen werden können, wird auch in Guatemala deutlich. Matilde Gonzales zeigt im Beitrag «Nachhaltig zum Schweigen gebracht» auf, dass sexuelle Gewalt und geschlechtsspezifische Repression gegen Frauen in Guatemala nicht einfach Begleiterscheinungen des Aufstandsbekämpfungsprogrammes waren, sondern «bis heute ein konstitutives Element zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung einer auf Autoritarismus, Gewalt, Kontrolle und Exklusion basierenden lokalen sozialen Ordnung ist». Dass die «Neuen Kriege» kein einheitliches Phänomen darstellen, macht der Sammelband klar. Indem die AutorInnen faktenreich einige mächtige Mythen widerlegen, machen sie den Blick frei auf Gewaltökonomien, deren komplexe Zusammenhänge und die sie bestimmenden Interessen im globalen Kapitalismus. Leider fehlt dem einen oder anderen Text der letzte Schliff. Zudem verheddern sich einzelne AutorInnen zu sehr in Details. So ist es etwa für jemanden, der sich in Chiapas nicht auskennt, angesichts der Fülle von Ortsbezeichnungen, Gruppennamen und Kürzeln nicht einfach, den Blick fürs Wesentliche zu behalten.