Erwacht die italienische Linke?
Nanni Balestrini
Sie haben viele Bücher über die linken Bewegungen der 60er und 70er Jahre in Italien geschrieben. Wenn Sie sich die Situation heute in Italien anschauen; Straßenkämpfe, Arbeiterdemos in Rom, Generalstreik; auch in der zweiten Kommunalwahlrunde vom Wochenende zeichnet sich eine Schlappe Berlusconis ab. Ist eine neue Welle der sozialen Kämpfe zu erwarten?
Ja, ich glaube schon. Wichtig ist aber, dass die Studenten loslegen, da diese die unterschiedlichen Situationen miteinander verbinden können. Ansonsten bleiben die Kämpfe isoliert. Das könnte auch zu einer gewissen Instabilität führen, denn es gibt überall Unzufriedenheit. Doch soziale Bewegungen müssen eben auch einen politischen Ausgang finden. Und da ist nicht zu sehen, welcher es augenblicklich sein sollte. Die Linke befindet sich im Winterschlaf. Seit einigen Jahren ist sie eigentlich in einer absolut günstigen Position, denn sie ist unbeschadet aus allen Korruptionsskandalen hervorgegangen. Jetzt sieht sie sich einer lächerlichen Regierung gegenüber, die nur Fehler macht. Aber es reicht nicht, mit erhobenem Zeigefinger dazustehen und die Fehler aufzuzeigen.
Wer sind heute die Träger progressiver, linker Kämpfe in Italien?
Man kann nicht behaupten, es gäbe progressive Kräfte, denn die aktuellen Kämpfe sind defensiv. Gegen die Umstrukturierung, gegen die Steuern usw., denn diese neue Regierung will alle Kosten auf die schwächsten Schichten der Gesellschaft wie etwa die Rentner abwälzen. Trotz aller Mobilisierung ist zu befürchten, dass der Kampf defensiv bleibt und immer schwächer werden wird, wenn sich nicht eine Sichtweise durchsetzt, die eine radikale Veränderung der gesamten Arbeitsbeziehungen vorsieht.
Inwiefern?
Die institutionalisierte Linke und die Gewerkschaften wollen um jeden Preis Arbeitsplätze wiedergewinnen, die es nicht mehr gibt und nie mehr geben wird, anstatt das als positiven Fakt zu akzeptieren. Die technologische Umstrukturierung verringert unweigerlich die gesamte Arbeitszeit, und dies sollte genutzt werden. Arbeitszeitverkürzung - ohne natürlich die Löhne zu senken.
Wenn jetzt immer wieder riesige Demonstrationen gegen die rechte Regierung durch Rom gehen, fragt man sich schon, wie Berlusconi, Lega und Faschisten je so viele Stimmen bekommen konnten...
Abgesehen davon, dass Berlusconi einige Fernsehsender besitzt und die Werbung benutzt hat, liegt es vor allem daran, dass er sich in das politische Vakuum der Christdemokraten (DC) hat setzen können, die immer zwischen 20 und 30 Prozent der Stimmen bekommen hatten und verschwunden sind. Es sind Mitte/Rechts-Stimmen und solche von der PSI (Sozialistische Partei Italiens), die früher 10 bis 15 Prozent hatte und auch verschwunden ist. Das ist eine Wählerschaft, die nicht links wählt, von der sich ein gewisser Teil der extremen Rechten zugeordnet hat. Berlusconi hat genau diesen Raum besetzt.
Er musste allerdings eine Allianz mit den Faschisten eingehen. Kommt ihr die jetzt teuer zu stehen?
So ist es. Eine Allianz mit den Faschisten und der Lega, die sich wahrscheinlich bald auflösen wird, wenn sie nicht eine grundlegende Neuerung mitmacht, von der ich mir nicht vorstellen kann, wie sie aussehen sollte. Sie lebte von dem Widerspruch zwischen den alten Parteien auf der einen Seite und der Eigendarstellung als saubere, neue, nicht korrumpierte Kraft. Dieser Diskurs ist nun durch Forza Italia überholt.
Bei den nächsten Wahlen wird die Lega wahrscheinlich sehr viel verlieren. Statt dessen wird wohl das christdemokratische Zentrum, nach dem „Lifting“ mit neuen Namen, „Partito Popolare“, wieder auftauchen. Eine neue Regierungsmöglichkeit wäre dann eine Zentrums-Allianz: Forza Italia, Partito Popolare und die Reste der Lega.