Ein Jahr nach dem G-8-Gipfel in Genua: Anmerkungen zum Stand der juristischen Verfahren und zum Zustand der sozialen Bewegungen
Forum des Ungehorsams
Am 20. Juli 2002 jährt sich erstmals der Todestag von Carlo Giuliani, dem jungen Demonstranten, der während der Proteste gegen den G-8-Gipfel in der italienischen Hafenstadt Genua im vergangenen Jahr von einem Carabinieri mit einem Kopfschuss getötet wurde. Im Gedenken an Carlo Giuliani finden in ganz Italien Kundgebungen und Aktionen statt. Das Zentrum der Aktivitäten liegt natürlich in Genua. Dort finden vom 13. bis zum 21. Juli öffentliche Debatten, Kongresse, Aktionen, Straßentheater, Konzerte und Demonstrationen statt, die nicht nur an die brutale Polizeirepression und den toten Carlo Giuliani erinnern, sondern auch die nächsten Schritte der außerparlamentarischen Bewegung entwerfen und diskutieren sollen.
Nach den Mobilisierungen im Anschluss an den G8 in Genua, wie gegen den (schließlich verlegten) NATO-Gipfel in Neapel im September, den breiten Antikriegsdemonstrationen im Herbst, die erneut Hunderttausende auf die Straßen brachten, dem Winter der den streikenden StudentInnen gehörte und den Aktionen gegen die jüngst verabschiedeten neuen repressiven Ausländergesetze, braucht die Bewegungslinke einen Raum der Reflexion und Neubestimmung, um einen qualitativen Sprung vornehmen zu können und sich nicht in den ewig gleichen Mobilisierungsritualen totzulaufen. Dies soll vor allem während der Juli-Tage in Genua und Anfang November auf dem Europäischen Sozialforum in Florenz geschehen.
Dabei sollte die Bewegung, nach Ansicht eines ihrer bekanntesten Sprecher Luca Casarini, "deutlich machen, dass wir "global" sind und die wirklichen "No globals" die starken und marginalisierenden Mächte des Wirtschaftsliberalismus sind". Nach den Erfahrungen von Genua erklärten die Tute Bianche das Ende der "weißen Overalls", bildeten gemeinsam mit der Jugendorganisation von Rifondazione Comunista, der süditalienische Koordination "Rete No-Global" und anderen kleineren Gruppen die Bewegung der "Ungehorsamen" (Disobbidienti) und riefen den Übergang vom zivilen zum sozialen Ungehorsam aus. "Der Ungehorsam ist eine hervorragende Intuition gewesen, weil einige Bipolaritäten dadurch gesprengt wurden, wie z.B. die von Gewalt und Gewaltlosigkeit oder auch die von Legalität und Illegalität. So muss es sein: Ein nützliches Instrument anwachsend in Europa", so Federico Martelloni von den Ungehorsamen in Bologna.
Dennoch ist die Bewegung weit davon entfernt dies zur unverzichtbaren Identität zu machen: "Wenn es nicht mehr nützlich ist, dann werden wir uns dessen entledigen, so wie wir es mit den Tute Bianche (weißen Overalls) nach Genua gemacht haben." Doch das Konzept des sozialen Ungehorsam scheint vielen nicht klar genug."Als das Wort Ungehorsam noch mit zivil assoziiert war, drückte es die Idee der cittadinanza (Bürgerschaft) aus, und zwar genau im Moment, in dem man entscheidet, die Grenze der Legalität zu überschreiten. Das Ganze hatte durchaus eine biopolitische Bedeutung, die sich mit dem Ausdruck Empire gut verbinden ließ. Der Soziale Ungehorsam ist als eine Art Taschenspielertrick entstanden, um sich in der Nach-Genua Zeit zurecht zu finden. Es war als ob man eine Diskontinuität markierte, ohne dabei zu wissen, was danach passieren würde." So Roberto Bui, vom Schriftstellerkollektiv Wu Ming, der sich lange Zeit zu den Tute Bianche rechnete.
Selbstkritik der Sozial Foren
Auch die Social Foren, von denen in Folge der Erfahrungen rund um den G8 in ganz Italien innerhalb weniger Wochen Hunderte entstanden, stellen ein Jahr später keineswegs überall ein Erfolgsmodell dar. Damals fanden sich in Städten und kleinen Ortschaften verschiedenste Gruppen, von Nachbarschaftsinitiativen über Eine-Welt-Läden bis hin zu besetzten Zentren nach dem Beispiel des Genoa Social Forum zusammen und bildeten eine tragende Säule der Verbreiterung der Bewegung und Mobilisierung. Dabei unterscheiden sich die lokalen Erfahrungen und Einschätzungen ebenso wie die verschiedenen Kooperationsmodelle.
In einem Kommuniqué der Ungehorsamen Anfang Juni wurde kritisch angemerkt: "Die ausgebliebene Mobilisierung der Bewegungen zum Anlass des Besuchs von George Bush II in Rom und zum Gipfel Nato-Russland in Pratica del Mare sollte von allen genutzt werden um eine Reflexion in die Wege zu leiten. Als Ungehorsame beginnen wir mit Selbstkritik, aber die Enttäuschung darüber, dass wir es nicht geschafft haben unserer Rolle gerecht zu werden, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Probleme auch allgemeiner Natur sind und alle betreffen. (?) Das betrifft den Mechanismus der Anerkennung, Akzeptanz und Anziehungskraft der Social Foren. Hier muss mit aller Deutlichkeit gesagt werden, dass der Geist von Genua wichtig ist und nicht irgendein Logo, das mittlerweile ohnehin nicht mehr in der Lage ist anziehend zu wirken und als Motor zu fungieren, wie es einige Monate lang der Fall war. Wir müssen die Vorstellung überwinden, dass Bewegung dadurch entsteht, dass die Simulation der Orte der Bewegung verfestigt oder bürokratisch aufrecht erhalten werden."
Ein Schreiben, das die Medien veranlasste eine Krise der Bewegungen und vor allem der Social Foren auszurufen, was allerdings eine grobe Verzerrung der Realität darstellt. Ein abschreckendes Beispiel unter den Social Foren stellt das Forum in Rom dar. Hier trifft die Kritik des Schreibens durchaus zu, das eigentlich nicht vorhatte die Social Foren insgesamt zu Grabe zu tragen, sondern eher vor einer Tendenz warnen will. Zu Beginn noch ein brodelndes Gemisch verschiedenster Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen an dem sich einige Tausend beteiligten, degenerierte das Social Forum Rom innerhalb weniger Monate zu einem institutionalisierten Scheinparlament professioneller PolitaktivistInnen. Die Ungehorsamen, wie auch andere linke Basisorganisationen und besetzte Zentren zogen sich aus dem Social Forum Rom zurück und versuchten vor allem mit der Gründung von Social Foren auf Stadtteilebene der Bürokratisierung entgegen zu wirken. Ein Modell das auch in Genua Schule machte, obwohl dort auch das Social Forum Genua gut funktioniert. In Neapel hingegen hat es nie ein Social Forum gegeben, die bereits vorher bestehende Koordination "No global" übernahm hier die Rolle eines Forums.
In Florenz wiederum, wo vom 6. bis 11. November das Europäische Sozialforum als kontinentales Vorbereitungstreffen für das Weltsozialforum im brasilianischen Porto Alegre Anfang nächsten Jahres stattfindet, läuft das lokale Social Forum gut. Vielleicht liegt es daran, dass die Stadt stark studentisch geprägt ist.
Europäisierung der Kämpfe
Die Ungehorsamen zielen hier auf eine Europäisierung der Kämpfe, "um uns auf einen neuen Weg der praktischen kontinentalen Beziehungen zwischen verschiedenen Formen des Ungehorsams zu begeben, die zu gemeinsamen Initiativen fähig sind: So dass das Soziale Forum in November in Florenz, in dessen Vorbereitung wir nun – verspätet – eintauchen werden, nicht die Brutstätte erneuerter Spaltungen in der Bewegung und über sie darstellt, sondern einen wirklich fundamentalen Übergang, um einen Kampfhorizont zu entwerfen und ein alternatives Folgeprojekt zu den vorangehenden Mobilisierungen gegen die offizielle europäische Charta zu erschaffen. Also: Für die europäische Vereinigung der sozialen Kämpfe."
Im italienischen Kontext ist für die Bewegung die Klärung ihres Verhältnis zu den Gewerkschaften, vor allem gegenüber der ehemals kommunistischen Gewerkschaft CGIL, eine drängende Frage. Hatte diese sich vor einem Jahr noch distanziert zu den Demonstrationen in Genua verhalten, unterstützt sie nun die Aktivitäten zum ersten Jahrestag. Hier muss die Bewegung um eine eigenständige Mobilisierungsfähigkeit und den Raum für ein eigenes politisches Projekt kämpfen.
Nach drei Generalstreiks der Bewegung der Basisgewerkschaften Cobas war die italienische Gewerkschaftsbewegung im Frühjahr aus ihrem langanhaltenden sozialpartnerschaftlichen Winterschlaf erwacht. Am 23. März demonstrierten auf Initiative der CGIL in Rom mehr als drei Millionen Menschen gegen die Veränderung des Artikels 18 zum Kündigungsschutz. Drei Wochen später legte ein achtstündiger Generalstreik das Land lahm. Mittlerweile haben die beiden anderen großen Gewerkschaftsverbände Italiens CISL (ehemals christdemokratisch) und UIL (ehemals der Sozialistischen Partei nahestehend) nach Gesprächen mit der Regierung einer Veränderung des Artikels 18 zugestimmt. Die CGIL hingegen bleibt ihrem kategorischen Nein. Doch kann diese oppositionelle Gewerkschaftsmobilisierung, wie die Vergangenheit gezeigt hat, auch schnell wahltaktischen und parteipolitischen Überlegungen zu Gunsten der sozialdemokratischen DS (Democratici di Sinistra, ehemals PDS und davor kommunistische Partei PCI) und ihrem Wahlbündnis Ulivo (Olivenbaum) weichen und die Kräfte konzentrieren sich dann nur noch auf eine Ablösung der Berlusconi-Regierung. Auch ist von der CGIL kaum eine Radikalisierung und Ausdehnung der Kämpfe zu erwarten.
Die juristischen Konsequenzen: Genua, ein Jahr danach
Ein Jahr nach Genua ist aber wohl auch die Zeit, juristisch Bilanz zu ziehen: Die Verfahren gegen die 93 Personen, die in der Schule A. Diaz festgenommen wurden, in der G-8-GegnerInnen und JournalistInnen übernachteten, wurden jedenfalls eingestellt. Die Schule war in der Nacht zum 22. 7. von Sondereinheiten (NOCS) der italienischen Polizei und Carabinieri gestürmt worden, die dort so brutal agierten, dass Wände und Böden anschließend blutverschmiert waren. Von den 93 in dem Gebäude anwesenden Personen mussten über 60 auf Krankentragen, in blutdurchtränkte Tücher gewickelt, heraus getragen werden: Sie waren so schwer misshandelt worden, dass sie nicht mehr laufen konnten. Einige von ihnen waren ins Koma geprügelt worden, mehrere Personen wurden lebensgefährlich verletzt.
Ermittelt wird jetzt gegen 77 an dem Einsatz beteiligte Beamte wegen Körperverletzung und in 25 Fällen wegen der Fälschung von Beweismitteln und übler Nachrede. Die offizielle Begründung für die Räumung und das brutale Vorgehen stützte sich auf vermeintliche nächtliche Steinwürfe auf Polizeiwagen aus dem Gebäude, eine Messerattacke auf einen Beamten bei Eintritt in die Schule und dort aufgefundene Molotow-Cocktails. Alles Angaben, die während der Ermittlungen keine Bestätigung fanden. Einerseits erfolgten die angeblichen Steinwürfe, mit denen der Sturm auf die Schule gerechtfertigt wurde, erst am Abend, während mittlerweile klar ist, dass die Erstürmung bereits am Nachmittag von der Polizei beschlossen worden war. Zudem kann sich der verantwortliche Polizist, der das Protokoll über die Steinwürfe unterzeichnete, gar nicht mehr daran erinnern. Auch die vermeintlich beschädigten Wagen konnten von der Polizei nie vorgeführt werden. Dafür stellten aber mehrere Gutachter fest, dass der vermeintlich von einem G-8-Gegner in der Diaz-Schule mit einem Messer attackierte Beamte gelogen hatte. Der Schnitt in der Jacke der schusssicheren Weste und das von der Polizei präsentierte Messer passen nicht zusammen. Der Beamte muss die Schnitte nachträglich selbst vorgenommen haben. Und die im Eingangsbereich gefundenen Brandflaschen wurden Stunden vorher von einem Beamten auf der Straße gefunden und von den eingesetzten Polizisten gezielt in der Schule platziert. So sollten die sich dort aufhaltenden Personen kriminalisiert und das Genoa Social Forum als Schutzpatron der Ausschreitungen präsentiert werden.
Der Versuch misslang und mittlerweile geht die Genueser Staatsanwaltschaft davon aus, dass das Vorgehen von der nationalen Polizeiführung geplant wurde, so dass der Ex-Vizechef der italienischen Polizei, Arnaldo La Barbera, als Hauptbeschuldigter gilt.
Politisch Verantwortliche
Fraglich ist allerdings ob die Verantwortung nicht noch in viel höheren politischen Sphären liegt, schließlich war auch Vize-Premier Gianfranco Fini von der rechtsextremen Aleanza Nazionale während der Tage des G-8-Gipfels in der Polizeieinsatzzentrale vor Ort. Und auch der damalige Innenminister Claudio Scaloja profilierte sich rund um Genua als Hardliner. Er rechtfertigte alle Polizeieinsätze und obwohl die höchste politische Verantwortung für das Desaster bei ihm lag, lehnte er jede Rücktrittsforderung kategorisch ab.
Am 3. Juli 2002 musste er schließlich doch seinen Rücktritt einreichen. Nachdem er bereits seit Amtsantritt kein Fettnäpfchen ausgelassen hatte und dennoch nie den Sessel räumen musste, machten ihn seine Aussagen zu dem vermeintlich von den Roten Brigaden vor einigen Monaten erschossenen Staatssekretär Marco Biagi auch für die Regierung unhaltbar. Scaloja hatte den Mitarbeiter im Arbeitsministerium als ?Nervsack? bezeichnet, der ohnehin nur einen guten Posten hätte haben wollen. Die Kritik daran, dass kurz vor dem Anschlag der Personenschutz für Biagi abberufen wurde, obwohl dieser ihn ausdrücklich eingefordert hatte, kommentierte Scaloja mit den Worten man könne ja nicht jeden schützen. Dem daraufhin folgenden Sturm der Empörung konnte nach drei Tagen auch er nicht mehr standhalten.
Zum Tod von Carlo Giuliani
Auch bezüglich der ebenfalls in der Nacht zum 22. 7. 2001 vermeintlich "irrtümlich" erfolgten Durchsuchung der Räume des Genua Social Forum und des Media Centers gegenüber der Diaz-Schule scheint sich ein juristisches Nachspiel anzubahnen. Dort hatte die Polizei systematisch die Computer zertrümmert und die Festplatten ohne Beschlagnahmeprotokolle faktisch entwendet. Gegen die etwa 20 an der Aktion betiligten Polizisten wird wegen Sachbeschädigung und schwerem Diebstahl ermittelt.
Doch auch die Ermittlungen gegen DemonstrantInnen gehen weiter. Etwa 300 offene Verfahren stehen im Moment noch aus. Das Verfahren um den Tod von Carlo Giuliani hingegen schleppt sich seit einem Jahr dahin. Vom Gericht, das wurde bisher deutlich, ist kaum Aufklärung zu erwarten. Die Staatsanwaltschaft, Polizei und Carabinieri verstricken sich immer tiefer in Widersprüche und die Ungereimtheiten rund um den Fall nehmen stetig zu.
Während der Todesschütze, Carabinieri Placanica, behauptet, Demonstranten hätten ihn am Fuß gepackt und versucht aus dem Jeep zu ziehen, wird an den zahlreichen Video-Aufnahmen aus verschiedensten Perspektiven deutlich, dass dies nie der Fall war. Zu beobachten ist auch, dass die Carabinieri aus dem Jeep die vermeintlichen Angreifer kurz vor Benutzung der Schusswaffen aus dem Wageninnern mit Reizgas voll sprühten, erst als sich diese bereits vom Jeep entfernt hatten, wurde geschossen.
Auf diversen Fotos und Videoaufnahmen ist auch zu erkennen wie der Schütze aus dem Innern des Carabinieri-Jeeps bereits einige Zeit bevor Carlo Giuliani den Feuerlöscher (gegen den sich der Schütze angeblich verteidigt haben will) aufhebt, die Pistole durchlädt und auf die Demonstranten richtet. Unter Rufen wie "Ich leg´ euch alle um ihr Kommunistenschweine" zielte der Schütze über zwei Minuten lang auf verschiedene Personen. Dann schoss er auf den etwa 3,5 m entfernt stehenden Carlo Giuliani, der keine Anstalten machte sich dem Jeep zu nähern.
Ungeklärt ist auch nach wie vor die Frage, wie viele Schüsse von wem abgegeben wurden. Die offizielle Version lautet bisher, dass zwei Schüsse abgegeben wurden, ein erster in die Luft und ein zweiter ungezielt auf die Menge, der dann "tragischerweise" Carlo Giuliani traf. Entsprechend wurde ein Einschussloch in einer Kirchenmauer und eine Patronenhülse aus dem Innern des Jeeps präsentiert. Doch auf Videoaufnahmen ist zu sehen und zu hören, wie ein erster Schuss auf Carlo Giuliani abgegeben wurde und zwei Sekunden später (Zeit genug zum Zielen) aus dem Wagen erneut geschossen wurde, allerdings nicht nach oben – also dort wo der Einschuss präsentiert wurde – sondern nach unten.
Ungeklärt ist auch weiterhin wie viele Personen sich tatsächlich in dem Jeep befanden – drei oder vier – und ob es tatsächlich die Hand des jungen Placanica war, die die Tatwaffe hielt, oder, wie es auf einigen Fotos scheint, eine weitere, bisher unbekannte Person, bei der es sich um einen Vorgesetzten des Militärdienst leistenden Carabinieri gehandelt haben könnte. Zusätzliche Zweifel an der offiziellen Version werden dadurch genährt, dass ein erstes, vom ermittelnden Richter in Auftrag gegebenes unabhängiges ballistisches Gutachten bestätigte, die zwei Schüsse seien aus verschiedenen Waffen abgegeben worden. Daraufhin beteuerte Placanica er habe als einziger geschossen und beide Schüsse abgegeben. Ein weiteres – nicht unabhängiges Gutachten – bestätigte daraufhin diese Version der Ereignisse. Doch warum war es Placanica so wichtig alle Schuld auf sich zu nehmen, wenn selbst der Richter andere Möglichkeiten eröffnete?
Selbstmord durch Tontaubenschießen
Weitere Ungereimtheiten beziehen sich darauf, dass die Polizei offiziell behauptet die Spurensicherung erst am 22. Juli vorgenommen zu haben, obwohl anhand von Fotos und Zeugenaussagen diese bereits am 20. Juli vorgenommen wurde. Auch die Kugel, die Carlo tötete, sei nie gefunden worden. Ebenso gibt es über die Autopsie widersprüchliche Angaben. So soll der Körper von Carlo Giuliani angeblich keinerlei weitere Verletzungen aufweisen, was angesichts dessen, dass er mehrmals von einem schweren Militärjeep überrollt wurde, nahezu unmöglich erscheint. Anonyme Stimmen aus Genueser Krankenhäusern berichteten dagegen, die Röntgenaufnahmen und der Autopsiebericht seien gefälscht und manipuliert worden.
Die Reihe der Ungereimtheiten ließe sich auch endlos fortsetzen. Eine Aufklärung scheint jedoch mehr als unwahrscheinlich. Im Gegenteil, Placanica gilt als einziger Schütze und die Öffentlichkeit wird zunehmend auf einen Freispruch vorbereitet. Im Juni präsentierte die Staatsanwaltschaft Gutachter, die die These vertraten, die Kugel, die Carlo Giuliani tödlich traf, sei von einem durch Demonstranten geworfenen Stein abgefälscht worden.
Carlo Govoni, einer der durch die Familie Giuliani einberufenen Gutachter, bezeichnete das Vorgehen von Staatsanwaltschaft und Polizei als Farce, die dazu diene, die Carabinieri freisprechen zu können. Denn die Untersuchung zeige, dass von Notwehr keine Rede sein könne, es seien gezielte Todesschüsse in gerader Linie auf den Kopf abgegeben worden. Und Carlos Vater ist sich sicher: "Mein Sohn ist ermordet worden und das nicht von einer Einzelperson, sondern vom Staat. Aber wahrscheinlich werden die Ermittlungen zu dem Ergebnis kommen, dass Carlo Selbstmord verübt hat, während die Polizei gleichzeitig ein Tontaubenschießen auf dem Platz veranstaltete.