im Gespräch mit Schorsch und Ted von den Goldenen Zitronen

Ach Deutschland, ja. Hmm ... Schwer zu sagen

dna und Ilie Nastase in Arranca!-Ausgabe 15

Ihr habt Eure neue Platte bei \"Cooking Vinyl\" in Großbritannien veröffentlicht, wieso?


Ted: Wir hatten keinen Bock auf Deutschland und wollten die deutsche Wirtschaft schwächen ... Haha!

Schorsch: Wir wollten ermöglichen, daß unsere Sachen auch außerhalb von Deutschland erhältlich sind, und das war mit SubUp schwierig.

Wo wird die neue Platte denn überall veröffentlicht?

Ted: Wegen der Texte stoßen wir natürlich auf sprachliche Grenzen. Wir hatten aber schon Touren im Baskenland, in der Ex-Tschechoslowakei, Dänemark, Japan und Ex-Jugoslawien.

Schorsch: Wir planen auch Tourneen in verschiedenen Ländern, z.B. in den USA, wo schon mal eine ältere Platte von uns veröffentlicht wurde.

Heißt die Platte deshalb \"Dead School Hamburg\", weil Ihr aus Deutschland raus wollt?

Ted: Das ist eher assoziativ, z.B. haben wir diesmal mitberücksichtigt, wie das ist, wenn die Scheibe in den USA steht. Da ist es ziemlich egal, denn der journalistische Begriff \"Hamburger Schule\" existiert dort nicht. Anglo-amerikanische Freunde von uns haben gesagt, daß es gut klingt.

Seht Ihr Euch denn in einer Projektkontinuität, was Eure anderen Platten und Aktivitäten betrifft?

Schorsch: Ja sicher, wir behandeln ja auch immer wieder Sachen, mit denen wir außerhalb der Goldenen Zitronen zu tun haben. Das ist ja das, was man im positiven Sinne \"Diskursmusik\" nennt. Da korrespondieren wir dann auch mit Leuten, die eben nicht \"Hamburger Schule\" und damit an einen Ort gebunden sind.

Ted: Unsere Texte schöpfen wir natürlich immer aus unserem sozialen Background. Wir sind gar nicht denkbar als klassische Poeten. Die Band ist ein Kollektiv. In diesem Fall ist es die kollektivste Platte überhaupt, alle Stücke sind Gemeinschaftsarbeiten. Das reine Individuum an sich war für uns nie das Thema. Ich kann ja nichts schreiben über den Moment, in dem Schorsch sich am einsamsten fühlt.

Schorsch: Oder daß du Susanne liebst und ich singe das dann. Ted: Das geht halt alles nicht und ist auch nicht das Thema. Aber ich meine damit nicht, daß Poesie keine Berechtigung hätte. Persönliches Leid z.B. wird es ja immer geben, auch in einer idealen Gesellschaft. Man muß akzeptieren, daß Politik nicht die Individualität und die individuelle Wahrnehmung ersetzen kann.

Der allgemeine Trend ist bestimmt von scheinbarer Individualität und auch musikalischer Entwicklung zu immer kleineren Mikro-Gruppen. Warum steht bei den Zitronen die Kollektivität im Vordergrund?

Ted: Wir sind der Meinung, daß es eine sehr gelungene Kombination von Individuen ist und legen Wert drauf, daß das sichtbar wird. Bei der letzten Platte war das Thema zum großen Teil Improvisation. Die klassische Jazz-Idee, möglichst freie Improvisation im Rahmen des Kollektivs. Diesmal war es andersherum, wir haben nicht synchron zusammengespielt, sondern nacheinander aufgeschichtet. Also ausgehend von einem Riff, Groove oder einer Harmonieführung etc. Das Arrangement ist so nach und nach entstanden. Auch die Instrumente waren nicht festgelegt, wir hatten z.B. einen Schlagzeugtrack und dann wurde überlegt, \"was machen wir jetzt und wer macht es?\" Es geht uns ja auch immer darum, für uns selbst Methoden zu ändern, so daß es einem selbst was bringt und Spaß macht.

Welchen Schwerpunkt setzt Ihr bei Eurer Musik? Liegt die Bedeutung auf den Texten - bei denen es Sprachgrenzen gibt - oder setzt Ihr mehr auf die Kombination von Text und Sound?


Ted: Wir haben in den USA in New York und Chicago gespielt und eine Reihe von Interviews gegeben. Unsere dortige Erfahrung war, daß man sich in Amerika weniger mit der verbalisierten Ebene von Musik auseinandersetzt. Anderseits beweist man mehr Instinkt im Lesen der Codes. Darüber verstehen die Leute deine Grundhaltung. Jeder weiß, wofür die Beastie Boys stehen, aber kann irgendwer einen Text wiedergeben? Genauso Sonic Youth. Gelesen wird die ästhetische Strategie von Subversion.

Schorsch: Diese Strategie bleibt mir aber bei beiden doch recht schwammig. Ted: Klar! Wenn man dann reale Diskussionen verfolgt, bekommt man auch hanebüchene Sachen zu hören. Das Bewußtsein bei vielen Leuten, die in den USA aufgewachsen sind, stoppt an dem Punkt, wo die Systemfrage gestellt wird. In den USA gibt es ja nur eine Handvoll verschrobener Typen, für die Marxismus eine realistische Option darstellt. Das ist das Resultat einer Gesellschaft, die den perfekten Mechanismus hat, Menschen zu vereinzeln. Man neigt dann zu so einem \"Typisch oberflächlich - typisch Amis\"-Reflex. Dabei kannst du das mit der Geschichte und der aufwendigen Zerschlagung der amerikanischen Arbeiterbewegung erklären. Diese taktische Vereinzelung und Separierungspolitik hat dann genauso gegen die Black Panther stattgefunden. Die Black middle class wurde durchgelassen und die militante Abteilung und der Marxismus totgeschlagen. Die dortige Gesellschaft besteht aus verschiedenen Ethnien, die immer wieder neu in Verhandlungen treten. Es ist der permanente Dialog zwischen Lobbies.

In Europa läuft es doch im Moment in eine ähnliche Richtung. Es findet mehr Lobbypolitik statt und die Liberalisierung und Privatisierung sozialer Bereiche greift um sich. Der Antikommunismus in der Gesellschaft ist ein weitverbreitetes Phänomen ...

Ted: ... aber du hast in Frankreich immer noch viele Gemeinden mit KP-Bürgermeistern. Mir ist in Paris aufgefallen, daß es noch viele Anleihen an kommunistischen Symbolismen gibt, z.B. bei Straßennamen. Vielleicht gefällt denen dort mehr die €sthetik der Rebellion als die strukturelle Veränderung von Systemen. Es ist aber nicht so, daß der Marxismus nur universitär schwebt, wie in den USA. In den romanischen Ländern existiert er noch als reale Utopie, häufig als gleichberechtigtes Pendant zur Religion.

Und wo seht Ihr die Idee hier in Deutschland?


Ted: Ach Deutschland, ja. Hmm ... Schwer zu sagen. Man findet schon auch neue Ansätze, z.B. bei diesen Arbeitslosengeschichten. Das hat natürlich nicht diesen fantastischen Ungestüm oder diese revolutionäre Lust wie in Frankreich. Aber ich glaube schon, daß sich daraus etwas entwickelt, dauert nun mal ein wenig länger und ist ein bißchen verkrampfter. Ansonsten ist es schon so, daß wir zurückgeworfen sind auf ein Linkssein in unseren Grüppchen, Ihr mit Eurer Zeitung und wir mit unserer kleinen Band.

Mit den Wohlfahrtsausschüssen seid Ihr und andere angetreten, im Osten mit Kultur und Aktionen eine andere Message zur dortigen Rechtsentwicklung zu transportieren. Wie würdet Ihr dieses Projekt jetzt beurteilen, als gescheitert?

Ted: Ja, da ist schon einiges an der Konzeption gescheitert, da müssen wir uns auch miteinschließen. Ich halte es mittlerweile für einen Fehler zu sagen, man will aus Politik Trend, Mode oder Pop machen, denn jeder weiß, wie Mode funktioniert. Nach der Sommersaison kommt immer die Herbstsaison. Schorsch: Das ist das gleiche mit der Hamburger Schule, die auch so eine Hype-Geschichte werden kann.

Ist also die popförmige Inszenierung linker Kultur oder Politik an ihre Grenzen geraten?
 

Ted: Ich habe keine Lust mehr, daß man versucht, mein Outfit als Gegenstand meines Inhalts zu interpretieren. Mir fällt da auch nicht mehr viel ein, gerade modemäßig scheinen wir am Ende der Spirale angekommen zu sein. Ich bin davon zermürbt, mir Mode zu organisieren, die ein unmißverständliches Statement hat.

Wie seht ihr Eure Entwicklung vom Funpunk zu politischen Texten?

Ted: Die Hafenstraße war so ein Ort, der uns geprägt hat und wo wir die ersten Jahre fast ausschließlich gespielt haben. Daher auch die Konzeption Funpunk, die sich gegen Razzia und Slime richtete, also dogmatische Texte, die für uns Stillstand ausdrückten. Und dann steht man plötzlich im Vorprogramm der Toten Hosen vor Bundeswehrsoldaten und merkt, daß das ganze sehr anders klingt. Wir waren Ende der achtziger für ein bis zwei Jahre kleine Teenie-Stars, wo 500 Leute auf unseren Konzerten alle Texte mitgebrüllt haben. Da haben wir gedacht, wenn die alle \"Ganz doll Schnaps\" mitbrüllen, dann können sie auch \"Alles was ich will, ist die Regierung stürzen\" mitskandieren. Und man kann nicht ausschließen, daß sie dann auch darüber nachdenken. Als die Platte dann rauskam, war die Regierung schon gestürzt - aber in der DDR.

Es wurde aber kein Hit im Osten ...

Ted: Nee, wir hatten zwar eine Tournee im Osten Anfang Õ90, aber es war unmöglich, den Leuten unsere Texte zu erklären. Es gab dort kaum Reaktionen, das Publikum war extrem verschüchtert oder mit sich selbst beschäftigt. Schorsch: Wir waren zu der Zeit schon mehr auf der Glam-Rock-Schiene. Die Leute in Cottbus kamen sich total verarscht vor, als wir in unseren 70er Jahre Samtanzügen mit Schlag dort aufliefen. Ted: Der Schlüsseltext war damals aber 80.000.000 Hooligans und das war das, was ich empfunden habe, als ich während der Maueröffnung zufällig hier in Berlin war. In den 80ern war der linke Standpunkt so bombastisch in Stein gehauen ... Man war geschützt mit seinem Umfeld, so geschützt, daß man es sich auch erlauben konnte, Linkssein zu verarschen, wie wir mit unserem Funpunk-Zeug. Als das plötzlich alles so weggebröckelt ist, kam bei uns ein didaktischer oder aufklärerischer Anspruch auf. Die Agit-Idee kam zurück: Sachen sagen zu müssen, die dann auch etwas bewirken, richtig oldfashioned Agit-Prop-mäßig.

Glaubt Ihr wirklich, daß so etwas Breitenwirkung haben kann?


Ted: Nein. Aber das darf auch nicht das Motiv sein, man darf sich nicht fragen, ob das Sinn macht oder nicht. Es muß in erster Linie für einen selber Sinn machen, man darf sich da nicht so protestantisch als Märtyrer fühlen, der sich selber quält für eine Sache. Wenn man keine eigene Idee, keinen eigenen Begriff von Freiheit hat, dann macht es auch keinen Sinn für Freiheit zu kämpfen. Das ist auch mein Vorwurf oder meine Kritik an so einer radikalen Analyse wie der von Günther Jakob. Wenn man 98% der Deutschen von vorneherein als Faschisten oder potentielle Rassisten bezeichnet, dann kann man sich eigentlich gleich die Kugel geben.

Kommen wir nochmal zurück zu dem, was Ihr damals mit den Wohlfahrtsausschüssen versucht habt. Wenn man sich anschaut, was heute im Osten und immer mehr auch im Westen auf dem Land los ist ... Wie denkt Ihr, daß man da politisch, sozial oder kulturell intervenieren sollte bzw. könnte?


Ted: Ohne ein sozialdemokratisches Modell geht das da nicht. Man muß plump andere Vorbilder kreieren. Das ist dann so wie \"fair geht vor\" oder \"Keine Macht den Drogen\", blöderweise ... Aber das ist nötig in einem Dorf in Vorpommern, wo es einfach keine andere Jugendkultur oder Ideologie gibt. Schorsch: Du wächst dort auf und siehst nur Nazis oder zumindest \"Nationale\", sie sind deine großen Brüder, deine Schulkameraden und vielleicht sogar dein Vater. Dann gibt es einige wenige Oasen, wie Leipzig, wo wirklich gut und mit Weitblick Strukturen aufgebaut wurden. Ted: Ein Problem der Wohlfahrtsausschüsse war, daß sie zu sehr Avantgarde im blöden Sinne waren. Natürlich ist es besser, wenn jemand heutzutage Punk ist, anstatt Skinhead, aber es tut mir leid, ich habe nichts mit dem zu tun, was er Punk nennt. Ich finde das einen extrem rückschrittlichen Begriff von Kultur. Und da wird es auch schwierig zu intervenieren. Gerade das Bewußtseinslevel, auf dem die Wohlfahrtsausschüsse gelaufen sind, ist nicht gerade das gewesen, was man populär nennt. Genauso ist unsere Musik letztendlich für Punker ungenießbar. Obwohl sie natürlich Punk ist, aber das läßt sich nicht erklären. Was mit den Wohlfahrtsausschüssen nicht geklappt hat, ist generell erst einmal, Style und Politik zusammenzubringen. Daran glaube ich auch nicht mehr und das finde ich auch verkehrt, wenn man die Methode des Oberflächlichen als inhaltliche Methode akzeptiert. Das ist mein persönliches Fazit daraus. Desweiteren kamen die Leute, auf die man sich verlassen konnte, aus einem handfesten Antifa-Umfeld, die anderen hatten dann gerade keine Zeit oder diesen oder jenen kleinen individualistischen Einwand. Das klingt jetzt so spöttisch, aber das ist ein wirkliches Problem, bestimmte Leute sind es nicht gewohnt, einen kollektiven Standpunkt zu vertreten und kleine individualistische Einwände unterzuordnen. Das erscheint ihnen als ein zu großer Eingriff in ihr persönliches Empfinden. Schorsch: Trotzdem war das wenigstens in dem kleinen Rahmen erfolgreich, daß man als unterschiedliche Szenen gemeinsam unterwegs war, mit 250 Leuten in mehreren Bussen. Da waren Kunsthistoriker, Musiker und Autonome gemeinsam unterwegs. Nur hatte man irgendwann das Gefühl, daß alle wieder in ihre Löcher zurückgehen. Ted: Diese Osttour war eine tolle Klassenreise für alle. Nicht nur das Amüsement in erster Linie, das schafft ja auch einen sozialen Austausch, Verständnis, das klingt jetzt so blöd liberal, aber ich meine, daß man ein bißchen mehr mitkriegt von anderen Lebensweisen, die man sonst nur ästhetisch ablehnt. Es gibt einschlägige Kneipen des autonomen Umfeldes, die stoßen mich einfach ästhetisch ab, die Musik, der Umgang etc. Aber das heißt ja noch lange nicht, daß ich diese Personen nicht erst nehme oder nicht wertschätze. Das macht nur Halt an der gemeinsamen Praxis. Man hat eben auch nicht jeden Tag miteinander zu tun, weil man, ganz plump gesagt, \"zu verschieden drauf ist\". Schorsch: Ich glaube, daß das, was wir machen, auch nicht unbedingt erwünscht ist, wenn wir z.B.nach Frankfurt/Oder fahren. Für niemanden. Unsere mitgebrachte Ästhetik, all das interessiert nicht wirklich jemanden. Da funktioniert möglicherweise alles über andere Codes. Das sind ja auch unsere Erfahrungen, es ist ja nicht so, daß wir aus anderen Gründen nicht viel im Osten unterwegs sein wollen. Außer an so einigen Orten, an denen wir noch Kontakte aus Zeiten der Wohlfahrtsausschüsse haben, also Leipzig, Halle und Dresden.

Habt ihr in anderen Länder andere Erfahrungen gemacht?

Schorsch: Im Baskenland war man so genossenmäßig auf einem Level, das war ganz selbstverständlich, schon beim Ankommen.

Ted: Ein Problem, das ich habe ist daß hier der Begriff von Gerechtigkeit oder Wahrheit ein juristischer ist. Es gibt keine herrschende Ethik, die nonverbal funktioniert. Alles muß definiert werden. Das ist in anderen Ländern anders und macht es etwas freier. Man hat den Eindruck, daß es eine höhere Toleranz gibt und nicht alles so formal ist. Das würde ich nicht nur im Hinblick auf die Linke sagen, dort sind die Linken Resultat eines Umgangs innerhalb einer Gesellschaft, das nennt man dann blöderweise \"Mentalität\".