Al Norte
Ein Film über die mexikanische Migration in die USA
Seit Anfang diesen Jahres kann man in verschiedenen Baumärkten Kaliforniens nicht nur Spaten, Latten, Farbe und Pinsel kaufen, sondern auch gleich die dazugehörigen Tagelöhner mitnehmen. Neben ganzen Bauunternehmen machen zusätzlich viele Privatpersonen von diesem Service Gebrauch. Wer sein Haus renovieren will, findet in den Läden jetzt alles, was er braucht. Diejenigen, die nur Löcher schaufeln, bekommen gerade mal den gesetzlichen Mindestlohn von fünf US-Dollar pro Stunde. Die Zeitarbeitsfirma, die mit den Baumärkten zusammenarbeitet, kontrolliert die Aufenthaltsgenehmigung der Tagelöhner und führt Steuern und Sozialabgaben ab. Nachdem man den Einkaufswagen wieder abgestellt und alles im Auto verstaut hat, genügt ein kurzer Stop bei dem auf dem Parkplatz stehenden Wohnmobil, und schon springt ein Arbeitssuchender der Agentur, mit Arbeitshandschuhen und Stiefeln ausgerüstet, in den Wagen und ab geht’s auf die heimische Baustelle. Früher gammelten die Arbeitslosen rum und boten selbst ihre Dienste auf den Parkplätzen an. Doch viele Kunden fühlten sich dadurch belästigt, abgesehen von den Verständigungsschwierigkeiten bei den Verhandlungen. Diese Zeiten gehören nun endgültig der Vergangenheit an. Jetzt ist eine Lösung gefunden, die jedem hilft. Und alle sind happy.
Eine etwas andere Sicht auf die Dinge liefert jetzt ein Film von Dario Azzellini, Harry Häner und Boris Kanzleiter. Der Dokumentarfilm beschäftigt sich mit der über 3.000 Kilometer langen Grenze zwischen den USA und Mexiko, mit den Versuchen der MexikanerInnen, diese zwecks Arbeitsaufnahme zu überqueren und mit der Suche nach den Gründen für diese Migration.
Der Film startet in einem Dorf im südmexikanischen Oaxaca. Anschließend wird eine Familie aus Durango interviewt und nimmt zu ihren Auswanderungsgründen Stellung. Der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde erläutert die Ursachen für die immer weiter sinkenden Ernteerträge in der Landwirtschaft und spricht von einer 30 bis 40 prozentigen Abwanderung aus seinem Dorf, vornehmlich Richtung Los Angeles. Er verschweigt auch nicht die Überweisungen der MigrantInnen, ohne die die wirtschaftliche Situation in seiner Gemeinde noch desolater wäre.
Die zweite Station des Filmes ist Mexiko-Stadt. Sie dient vielen MigrantInnen als Zwischenstop auf dem Weg nach Norden. Hier kommen unter anderem ein Journalist, der über die immer weiter auswuchernde Metropole spricht, und ein FZLN-Vertreter zu Wort. Letzterer berichtet von der Situation in Chiapas, der zunehmenden Militarisierung dort. Er attackiert scharf die mexikanische Regierung und gibt ihr eine gehörige Portion Mitschuld an der fehlenden Lebensperspektive für weite Teile der Einwohnerschaft und somit der steigenden Migrationsbereitschaft. Schließlich erzählt ein Busfahrer von verschiedenen Zwischenfällen auf dem Weg mit dem Bus al norte.
Konsequent kommen in dem Film nur Personen zu Wort, die interviewt wurden – auf jeglichen Kommentar aus dem Off wird verzichtet. In den 25 Minuten entsteht so ein facettenreiches Bild von der Situation an der Grenze, insbesondere aus mexikanischer Sicht. Die Bilder sind nicht spektakulär, die Kameraführung ist ruhig - jedoch bei weitem nicht langweilig - und der Film ist unterlegt mit Musik aus Mexiko, in der es ebenfalls um die Migration geht. Alles in allem eine gelungene Produktion, die sich auch in der politischen Bildung gut einsetzen läßt.
Dies wird auch in der dritten Station des Filmes deutlich: Tijuana, die Stadt mit den meisten Grenzüberschreitungen. Hier kommen Menschen zu Wort, die den unsicheren Grenzübertritt wagen wollen oder bereits wieder abgeschoben wurden. Letztere berichten teilweise von grausamen Mißhandlungen durch die migra, die Grenzpolizei. Ein Bürgerrechtler aus den USA prangert ebenfalls die Menschenrechtsverletzungen durch die border patrol an. So sind von 1993 bis 1996 fast 1.200 Menschen bei dem Versuch, die Grenze ohne gültige Dokumente zu überqueren ums Leben gekommen. Allein 850 EinwanderInnen sind dabei im Río Grande ertrunken, die anderen oft in der Wüste und in verschlossenen Fahrzeugen verdurstet, teilweise sträflich von den Schleppern - den sogenannten Coyotes - im Stich gelassen, nachdem diese zuvor bis zu 1.000 US-Dollar für das Geleit über die Grenze kassiert haben.
Der Film unterstützt die These von der wachsenden Militarisierung der Grenze und einer zunehmend migrantenfeindlichen Gesetzgebung in den USA. Durch die Operation gatekeeper und die Errichtung der mehrere Kilometer langen Stahlmauer aus alten Landepisten werden die MigrantInnen zunehmend nach Osten in die Wüste und ins Gebirge gedrängt, und ihnen somit der Übertritt erheblich erschwert. Dies ist unbestritten. Diskustieren läßt sich allerdings darüber, inwieweit die Übergriffe auf die MigrantInnen in den USA in den letzten Jahren zugenommen haben und die Arbeitsverhältnisse noch prekärer wurden als sie ohnehin schon sind. Meines Erachtens wollten die USA weder in der Vergangenheit noch in letzter Zeit möglichst jeden Grenzgänger ergreifen, sondern einen gewissen Prozentsatz aufzubringen, der so groß ist, daß das ausbeuterische System der Rotation, der ständigen, erzwungenen Fluktuation der WanderarbeiterInnen aufrechterhalten werden kann. Damit auch morgen noch genügend Arbeitssuchende auf den Parkplätzen der Baumärkte für einen Hungerlohn zur Verfügung stehen.