Haben die Vorkommnisse in Großbritannien eine globale Dimension?
Kapitalistische Stabilität
Für die Mainstream-Presse ist die Sache klar: Die Ausschreitungen in Großbritannien haben nichts mit den Aufständen in Ägypten oder China zu tun. Politikwissenschaftler und Berliner Gazette-Autor Dario Azzellini übt Kritik an dieser Sichtweise und fragt nach den globalen Zusammenhängen.
Es hängt ganz davon ab, wo Plätze besetzt, Waffen ergriffen, Barrikaden gebaut, Läden angezündet oder Polizisten angegriffen werden…
Besonders deutlich war da mal wieder das Kampforgan der deutschen Neocons Spiegel Online. Während die Randalierer in London konsumberauschte Kriminelle waren, die aus reiner Mordlust Polizisten angriffen, waren ähnliche Vorkommnisse in Südchina eine Woche später selbstverständlich ein Aufbegehren gegen die Willkür von Behörden und Polizei.
Platzbesetzungen sind in Ägypten eine Demokratiebewegung. Nur bis Mubarak weg war. Jetzt wo das Militär die westliche Dominanz und die kapitalistische Stabilität garantiert, sind sie der deutschsprachigen Presse keine ausführliche Berichterstattung mehr Wert. Tunesien, wo die Bewegung sich mit neuen Ausbeutern nicht zufrieden geben will, ist überhaupt kein Wort mehr wert.
“Faule Griechen” und “Terroristen”
In Spanien sieht man eine ratlose Jugend am Werk, selbstverständlich nur eine Minderheit. Und die “faulen Griechen”, die es ja nur auf deutsches Geld abgesehen haben, die Toten Altersrente und Sehenden Blindenrente zahlen – diese “faulen Griechen” sind undankbar und reißen mit ihren Streiks das Land angeblich immer tiefer in den Abgrund, während Chaoten randalieren.
In Libyen sind Bärtige mit Flakgeschützen, Raketenwerfern und
Maschinenpistolen nicht nur “Opposition”, sondern gleich legitime Regierung (die Nato hat inzwischen über 7.000 Bombardements vollzogen). In Kolumbien sind FARC und ELN “Terroristen”…
Zurück zu GB: Selbstverständlich war der Aufstand in GB ein Aufstand gegen die sozialen Verhältnisse und gegen die täglich erlebte Repression und Willkür von Behörden und Polizei. Auch ist es nicht weiter verwunderlich, wenn genau die Sachen geplündert werden, die von den Medien und auch vom Alltag als notwendig und erstrebenswert propagiert werden, aber eben für immer mehr Menschen unerreichbar bleiben. Oder eben nur durch Plündern oder im hässlicheren Fall durch Raub und Gewalt gegen andere Personen erreichbar sind.
Im Brecht’schen Sinne lässt sich da nur sagen es ist ein größeres Verbrechen ein Shoppingcenter zu gründen als es zu plündern. Und es ist ein weitaus größeres Verbrechen Menschen zu marginalisieren und zu degradieren, als aus dieser Situation herauszuwollen.
Jenseits dessen sollten aber auch die Aufstände nicht romantisiert werden. Sie haben nicht unbedingt eine Perspektive, und es entsteht auch nicht unbedingt die Perspektive einer anderen Gesellschaft aus ihnen. Und da ich kein Buddhist bin, weiß ich auch es wächst nicht aus jedem modrigen Gewässer eine Lotusblüte.
So wie es in den ausgegrenzten Schichten der Bevölkerung Beispiele an Solidarität und Zusammenhalt gibt, gibt es auch
Egoismus, Gewalt, persönliche Bereicherung und viele andere
Verhaltensweisen, die ganz und gar nicht geeignet sind eine andere Gesellschaft aufzubauen.
Auch das ist ein Spiegel der Gesellschaft – und eben Annahme der täglich propagierten Regeln. Nur, um noch einmal auf Brecht zurückzugreifen: “Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“ Und so haben Cameron oder Blair Tausende Male mehr Menschen auf dem Gewissen als der gesamte Aufstand.
Die klare Sicht auf die Verhältnisse nimmt selbstverständlich der Rebellion gegen die herrschenden Zustände nicht die Berechtigung. Und wir werden immer häufiger solche Aufstände sehen. Jetzt geht es darum eine politische und soziale Perspektive einer Welt jenseits von Krieg, Ausbeutung und Marginalisierung zu entwickeln. Diese kann nicht aus dem bestehenden System kommen. Das ist Teil des Problems, nicht der Lösung.
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